eine historische Legende

Die Ruten, die fest zusammengebunden werden. Die Fasces. Das Beil, das da heraus ragt. Zusammen das Symbol des italienischen Faschismus.
Die Ruten: ein prügelnder Mob. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer sich entgegenstellt, den trifft die Axt. Wer sich nicht einbündelt, sich nicht einreiht, stellt sich entgegen.

Ein Anti dazu wäre ein Gegenmob, ein anderes Bündel mit anderer Axt.
Das Andere zu dem Bündel prügelnder Strolche: Der Freie, der der sich selbst in die Hand nimmt, der kein Bündel braucht, um zu sein.

Im Kampf der Bündel; bleibt eines am Ende übrig, sind die anderen geschlagen und ihre versprengten Reste integrativ eingebunden oder ausgemerzt.

Am Ende bleibt Stalin übrig oder Kim oder Maduro. Einer bleibt am Ende übrig, bleibt, beim Kampf der Ruten um die Mitte, denn die Mitte ist Macht. Einer rückt in die Mitte der Ruten, an denen vorbei, die sich darum streiten, der mittelmäßigste von allen.

Nicht der lauteste Schreihals wird am Ende gewinnen, sondern die Mittelmäßige mit der roten Büste auf dem Schreibtisch.

Wer heute dabei ist, kann morgen schon am Rand stehn, plötzlich außerhalb Feind sein. Stalin bleibt übrig und alle Verbündeten sind tot.

Wenn Robespierre auf der Guillotine liegt, jubeln alle, die nie dabeigewesen waren.

Antisemitismus

Im Abendländischen das Jüdische, was ist das? Das durch die Bibel übermittelte, mittelbar durch das Christentum hereingekommene. Der Austausch zwischen jüdischen und abendländischen Gelehrten vom Mittelalter bis hin zur schrittweisen Emanzipation der Juden seit Napoleon war marginal. Trotz Spanien. Es wird eher eine Abstoßung gewesen sein, eine Einkapselung eines Fremdkörpers durch Ignoranz im besten Falle im schlimmsten durch direkten Angriff.

Die jüdischen Gemeinden, besonders in Mitteleuropa, trugen einen längst vollzogenen und in Diasporen geübten Wandel, von der Stammeskultur zum Volk, daß sich einen Gott, zum Gott der sich ein Volk auserwählt, längst hinter sich.

Die mittelalterlichen Deutschen, aus dem Tribalismus in das Christentum gezwungen, befinden sich in einem Zwiespalt. Das neue Gesetz, die neue Ethik, es dauert lange und ist wohl nie ganz vollzogen worden. Der moralische Druck, unter dem Gesetz Gottes zu leben und die Schwierigkeit dazu. Der Neid dessen, der mit seiner Schuld konfrontiert wird, mit einem Hin und Her von Drohung, Strafe und Lässigkeit auf eine höchst aktive und lebendige Kultur, deren inneres Sein hauptsächlich darin bestehen zu scheint, die Balance zwischen Gottes Gesetz und dem schwachen Menschen so zu halten, daß der Mensch dabei mit sich und Gott im Gespräch bleiben kann. Das Judentum hat die individuelle Verantwortung lange vor der europäischen Moderne erfunden, allerdings in der identitären Dreieinigekeit von Gott – Volk – Einzelnem. Sie ist nicht universell wie im Christentum, das seine Aufgabe nie ganz erfüllt hat.

Der tribale Rest, der zu unterdrücken ist, kehrt sich immer wieder hervor. Der Nationalsozialismus ist auch eine Trotzreaktion dem Christentum gegenüber und sah zurecht seinen Hauptfeind in der stillen Güte, die im Anerkennen alles Menschlichen liegt.

Schwindet das, was bisher Raum für individuelle Identität gegeben hat, sei es Heimat oder Nation, finden sich Einzelne in neue identitäre Stämme. Hier gilt die Zusammengehörigkeit mehr, als die Individualität. Die Praktiken der identitären Selbstbehauptung können unter Umständen ebenso aggressiv sein, wie die der territorialen.

Das Talent der Juden zu einer vom Territorium unabhängigen (wenn auch gezwungenermaßen und bis 1948) aber Trotzdem-Existenz als Volk scheint im Auseinanderdriften der Welten bei gleichzeitigem Zusammendrängen zu neuen Kollektivismen umso sonderbarer. Das Judentum, daß trotz Verstreutsein jeden seiner Einzelnen in einem ganz eigenen Spannungsverhältnis zu sich und zu seinem Volk hält. Es ist weder universell, noch völkisch, noch tribal, noch interessenvertreten.

Seine Einzigartigkeit macht auch heute noch den Neid aus. Wo Alle nach Identität streben, werden die beneidet, die sie fast wie von selbst zu besitzen scheinen.

???

Die Metamorphosen im Schauen auf die Welt. Verschiedene Stimmen eines Autors in seinen Figuren, in einer Figur verschieden. Mißverstanden in etwa: Das hätte er gut beschrieben. Nein. Der Autor hat sich die Sicht seiner Figur zur eignen gemacht, um sie erzählen zu können; die Figur ist auch Autor.

Die Widersprüchlichkeit in einer Figur. Die Ambiguität ihrer Existenz, die gleichzeitige Sicht derselben auf sich. Kafkas Gehweise, sein Stil ermöglicht die Spannung und hält sie aus und er bleibt eins.

Hoffmann erzählt in den Serapionsbrüdern eine Anekdote. Zwei Schüler Kants disputieren eine These desselben, die Umstände trennen sie über Jahre und als sie sich wieder treffen, disputieren sie an eben der Stelle weiter, wo sie einst aufgehört hatten. Für Hoffmann ist das gespenstisch.
In einer Variante hätten die beiden nach Jahren die Position vertauscht. Eine Diktatur etwa zwang den einen zur Flucht und den anderen zu Anpassung. Ein weiteres Treffen sehe beide in ihren alten Positionen wieder, beide halten verblüfft kurz inne, fahren aber dann fort.

Feigheit vor dem Denken, die Widersprüche einer Sache nicht auszuhalten. Sie in ihre Pole zu trennen, diese in Angebote zu verwandeln und sich am Schalter zu diesen in die Warteschlange einzureihen (Äh, wer war hier der Letzte?).

Die Verschmelzung des Eigenen zu einem Goldenen Kalb, dem Idol aller, die folgen wollen.

in Zorn und Zeit

spricht Sloterdijk von akkumuliertem Zorn, der sich in Zornesbanken sammele, um unter Umständen als Dividende, Ersparnis in Form von Würde ausgezahlt zu werden. Eine Partei wäre solch eine Zornesbank, die, an der Macht, Auszahlungen in Form von Sozialpolitik oder Steuerkürzungen vornimmt. Käme sie nicht an die Macht, hielte sie immer noch ein Anlageversprechen.
Sloterdijk führt in einem Interview aus, das mit dem akkumuliertem Kapital analog dem finanziellen auch Transaktionen vorgenommen werden können. Die Situation, daß Zentralbanken Geld an Banken ohne Zinsen abgeben, dieses aus dem Nichts generieren scheint mir analog zu den Zornesbanken. Ihre Aufreger, ihre Versuche, immer neuen Zorn aus virtuellem Zorn zu generieren, wirken ähnlich und haben ähnliche Folgen wie in der Finanzwirtschaft. Das Vertrauen in einen soliden Sockel aus (Zornes-)Kapital schwindet, Menschen wenden sich ab, investieren in greifbare Werte, wie Häuser, schweizer Uhren oder alte Weine; anders herum in Dinge, die Echtheit oder Wahrheit nicht nur versprechen, sondern auch halten.

der pragmatische (Ost)deutsche

ist einer, der sich über die Jahre an die freie und offene Gesellschaft gewöhnt hat.
89 eher abwartend, wenn aktiv, dann auf gepackten Koffern oder längst im Westen. Durchaus gelegentlich opportunistisch nach außen, aber eher so, daß er die Umwelt mit seinem Meinen verschont. Sein persönliches Tun, seine Familie sind ihm wichtig, er ist beschäftigt, durchaus selbständig. Es hat sich in den Jahren ergeben, daß die Demokratie die beste politische Form für ihn ist. Sie verlangt von ihm nichts, sie läßt ihn in Ruhe sich um Arbeit und Familie kümmern.
Greift ein Aktivismus in diese Kreise ein oder gar an, wird von ihm gefordert, sich zu bekennen oder erscheint es ihm, daß ein Grundkonsens, der ihm eine eigene, freie und ungestörte Existenz garantiert, verloren geht, tritt er hervor aus dem Schatten des Privaten.
Man sollte ihn nicht unterschätzen, nur weil er politisch bisher nicht vertreten war, im Sinne eines Aktivismus oder politischen Bekenntnisses. Als Wähler hat er sich bisher nicht hervorgetan, er wählt alle Parteien. Ein Politiker, der einen dynamischen Pragmatismus glaubwürdig vertritt, könnte ihn jedoch interessieren.

Opportunismus

ist, nach den Gelegenheiten zu handeln. Anthropologisch betrachtet mußte Mensch jede Gelegenheit zum Überleben nutzen. Früchte zu essen, wenn sie wachsen, Schweine zu schlachten, wenn keine Früchte mehr da sind. Nein nicht jede. Die Kollektive suchen sich zu den gebotenen Dingen ihre Regeln, Tabus. Erkenntnis schafft Bögen, in denen man denken kann, vorausschauend handeln kann.
Gelegenheitskäufe: Opportunismus der Konsumtion, Opportunismus des Möglichen. Das alles verfügbar scheint, läßt die Bögen vergessen. Ein Opportunismus aus Vergeßlichkeit.

Mein Jahreslauf

Das Jahr beginnt für mich mit Weihnachten. Die Zeit davor ist eine der sich selbst zu-Grunde-bringenden Existenz, eine der Illusion, was man in den nächsten drei Wochen noch alles schaffen könne. Der Heiligabend ist eine Erlösung aus diesem Sein, ein Nichts folgt, in dem sich Dinge neu ordnen. Die Zeit des Wandels beginnt, die bis Pfingsten anhält. Ein Ausstieg aus dem Keller des Seins auf den Hof, vor das Haus, auf die Straße ins Licht des Wandelns Steh auf und wandle!, der Wandlung, des eigenen Handelns. Es springt immer noch Neues für mich hervor.
Der Sommer ist die Zeit des selbstvergessenen Seins, es scheint selbstverständlich, daß ich zu allem in der Lage sei.
November zerstört diese Illusion spätestens und weckt die Frage nach dem Tod auf. Dies wiederum löst hektisches Handeln bis Weihnachten aus.

Neue Privilegien

Wenn Hunger fehlt, fehlt etwas. Das Fehlende kann durch Simulation ersetzt werden. Asketische Übungen Privilegierter seither.
Eine anderes Privileg ist die Möglichkeit, sich in eine gewünschte Rolle zu simulieren, als wäre sie echt. Etwa die der Führerin einer Sekte, die das Wetter mit Hilfe kollektiver Interaktionen beinflussen will.
Das Privileg reicher Kinder bestand früher darin, ohne Sorge und Mühe alles erreichen zu können. Hinzu kommt nun das der wünschbaren Rollen. Eigentlich kann das jeder, es ist also kein Privileg. Aber an der Spitze seiner Simulation zu stehen, die gleichzeitig die eines größeren Kollektivs ist, daß leistungslosem Ruhm huldigt und damit auch sich selbst. Das geht nicht ohne hintergründige Anschubfinanzierung, also ohne Privilegien.

Erweiterte Akkumulation

Mit dem Eingekauften das Haus erreichen und die Eßwaren im Kühlschrank verstauen: als ob für ein paar Tage nun alles gesichert sei

Peter Handke: Das Gewicht der Welt

…gilt ebenso für den Müllsack, den ich nach unten bringe, nachdem ich das Regal aufgeräumt und aussortiert habe

Wahrheit, Existenz und Erkenntnis

Wahrheit ist durch Existenz beschwerte Erkenntnis.
Erkenntnis ist die permanente Revision der Erkenntnis.
Nur durch das Gewicht der Existenz wird Erkenntnis wahr.
Erkenntnis anderer wird erst durch meine Beschwernis für mich wahr.
Es gibt keine Wahrheit ohne Existenz.
Es gibt auch keine Erkenntnis ohne Existenz.
Gott ist die Wahrheit der Existenz als Schönheit.
Gott als Zwang, Wahrheit als Doktrin sind eine Existenz ohne Erkenntnis.
Es kann eine Erkenntnis gegen die Existenz keine Wahrheit werden.