Am Kragen getragen – beim Wiederlesen von “Hardboiled Wonderland”

Der Hausierer trägt seine Ware am Kagen – Col-Portage, die Bücher und Hefte, die in Fortsetzung erscheinen. Eine Form von menschlicher Erzählung, die den Bedürfnissen folgt, daß Alles weitergehen möge und Alles mit Allem in einem Zusammenhang stehe. Eine Entsprechung des schönen Wortes All-Ein, nämlich der Mensch, der allein ist: mit Allem ein. Fortsetzungsromane, Serien, all das was heute als Kolportage bezeichnet wird, erfüllen dieses Bedürfnis nicht oder nur auf einer Konsumtions-Ebene, weshalb immer neue Wälzer gefressen werden müssen.
Den Augenblick dagegen, der sich beim Lesen eines Haikus in die Unendlichkeit dehnt, muß man aushalten, allein.
Daß die Weltgeschichte und die kleine Geschichte einem Faden gleich abläuft, man wünscht es sich sosehr und alle philosphischen Konstrukte, die das bedienen, erliegen dem Irrtum daß man hinterher zu wissen meint, wie es gekommen sei. Dabei ist doch nichts so umstritten, wie das Vergangene. Nun kolportiert man diesen Irrtum, dieses wie am Schnürchen in die Zukunft. Der Hausierer von einst wäscht seine Hände in Unschuld: Hab ich Euch denn nichts anderes, als ein paar neue Geschichten bringen wollen?
Kolportage – Geschichtsphilosophie a la Marx, beide krönt die klassische Verschwörung. Die der Bösen, die dem Helden des Romans das Glück rauben, rauben in der Weltgeschichte Staat und Produktionmittel, um der Macht & des Reichtums willen.
Ja selbstverständlich ist an Allem was dran: Das Kolportagemuster, erworben im geisteswisschenschaftlichen Seminar, beim Serienkonsum, in der Hordenkommunikation mit Gleichgesinnten zieht sich seine tausendfache Bestätigung aus dem Netz und liefert Beweise am laufenden Band.
Murakamis Hardboiled Wonderland scheint diesen Mustern zu folgen, allerdings entfernt sich seine Mythologie immer mehr von der Schnur des Bösen, die an uns zieht. In seinem letzten Roman: Die Ermordung des Commendatore ist seine Mythologie eine des Individuums und die ganze Verantwortung liegt im Einzelnen. Daß der Einzelne für sein Tun verantwortlich ist, ist bei Murakami immer so, aber das mythische Konstrukt, durch das sich sein Held bewegt ist in Hardboiled Wonderland viel näher an der Verschwörung, wie es in Die Ermordung des Commendatore davon frei ist. Insofern gleicht der letzte Roman Murakmis der Perfektion eines Haikus, der uns in die Unendlichkeit führt, für die und in der ich als Einzelner die volle Verantwortung trage.
Als würde Murakami den Übermenschen Nietzsches beschreiben: das artifizielle Management des Tragens der eigenen Last, deren Gewicht im besten Falle die ganze Welt ist.