Obrigkeit und ich

Zu fordern, daß alle Beschäftigten in einem Land den gleichen Lohn bekommen ist recht und billig. Die Forderung nach der Abschaffung oder dem Verschwinden der Obdachlosigkeit hinterläßt in mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Denn mich und jeden (auch Gelben) gefragt: Bist du wirklich bereit, deinem Nächsten Obdach und Nahrung (ab)-zu-geben?

Wiedergefunden

“Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei.
Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf?
Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich.
Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir?
Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.
Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.
Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!
Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, — einen Schaffenden sollst du schaffen.
Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen…”

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Von Kind und Ehe

Nietzsche stellt die Frage in den Raum, daß finde, wer sie suche. Wäre sie Gesetz, wäre sie eine Diktatur des schlechten Gewissens, heruntergekommen auf ihre juristische Auslegung. Ich stelle mir diese Frage allein. Stellt sich ein afrikanischer Mann oder eine muslimische Frau aus Moabit diese Frage?

Klammer(Wiedergefunden in Peter Soloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, I.I. Das Du in dem Titel ist die Anrede an sich selbst in der zweiten Person und die Aufforderung es zu tun. Der Abschnitt über den Nietzsche-Text endet mit dem Satz: “Es mag ein Recht auf Unvollkommenheit geben, ein Recht auf Trivialität besteht nicht.”)

Das persönliche Element der Demokratie

Etwas, das nicht dem entspricht, was ich meine Moral nenne. Was ich in einem Fall der Not eben doch getan, gesagt, gedacht habe.
Darf ich das einem verwehren? Wenn Toleranz das Maß an Änderung ist, das ein System erträgt, ohne zerstört zu werden, hier die des Systems Selbst; inwieweit darf ich das einem anderen System Selbst verwehren. Eine Toleranz unter Schmerzen und des Anblicks des Menschen in seiner Not und Bedürftigkeit. Ich hinke unter Schmerzen an dem Pferdefuß, den ich schleppe. Hohe Moral, ohne diese Erfahrung, ist eine Diktatur gegen den Menschen. Als Herrschaft provoziert sie das Niedrigste. Aber wo wird das All-zu-Menschliche das All-Gemeine, das Gemeine, das Niedrige?

Die Irritierten

Wir wähnten, wie leicht es sei und nur einen Steinwurf von der Wahrheit und der Freiheit entfernt. Wähnten wir, daß es nur ein Schritt sei, aus der Fron ins Freie? Und wollten uns nicht abbringen lassen von den Ängstlichen, den Zaudernden, den Allwissenden und den Mächtigen und den Sklaven. Uns irritierte ihr Irre-Sein, wie sie uns Komplizenschaft anboten. Ja sie wußten, daß wir irgendwann stolperten, im Dreck liegen würden.

Die Kugel

Es war einmal eine Kugel, die rollte. Die Kugel rollte und freute sich. Sie wurde bewundert und beneidet.
Das ist doch etwas Wunderbares, sagten die Bewunderer, etwas, das aus sich selbst heraus rollt. Naja, sagten die Neider, ist halt ‘ne Kugel, die rollt. Die Kugel ärgerte sich mehr über die Neider, als daß sie sich über die Bewunderung freute. Ja sie hörte nur die Neider und vor Ärger wuchs ihr eine Ecke. Nun rollte die Kugel meistens wie vorher, es sah aber nicht mehr so aus. Die Ecke eierte oder die Kugel sprang, wenn sie über die Ecke rollte.
Die Bewunderer wandten sich ab und die Neider sprachen davon, daß es sich doch jetzt erst um eine rechte Kugel handeln würde, eine, die eben auch mal spränge. Das nahm der Kugel den Kummer, ja beflügelte sie und sie rollte, sprang, sprang über ihre Ecke, bis ihr schlecht wurde.
Einmal sprang die Kugel mit der Ecke auf einen Stein, die Ecke brach ab und die Kugel hatte ein Loch. Das ging schon mit dem Rollen, nur wenn sie auf dem Loch zu liegen kam, kam sie nicht mehr aus der Hüfte. Manchmal kam jemand vorbei und gab ihr einen Schubs.
Ein Andermal kam eine Hand und stellte sie auf ein Brett. Da steht sie bis heute.

Inselbus, Hiddensoe

Oppo i haitai he.., nein, es ist ein afrikanisches Stück, kein nachgemachter Regentanz für Kinder. Eine Mehrstimmigkeit, deren Reiz in der geringen Nuance zwischen den Stimmen liegt. Es klingt wunderbar, perfekt. Schlösse man die Augen, sähe man schwarze Frauen in bunten Kleidern sich wiegend singen. Der Gesang endet, der Bus fährt eine Dorfrunde und ist wieder auf dem Wiesenweg. Just an der selben Stelle beginnt der Gesang erneut. In Bulgakovs Meister und Margarita besteht ein Teufelszauber darin, daß ein ganzes Büro immer “Herrlicher Baikal” anstimmen muß, sobald das Telefon klingelt. Wie einen Schluckauf werden sie es nicht los, brechen in Tränen aus, sobald das Telefon klingelt um dann im Kollektiv erneut einzustimmen.
Norddeutsche Senioren auf Rüstzeit. Agile Siebziger einer Kirchengemeinde. Weitere Lieder folgen der Inselstraße nach Kloster: Together, so werden wir es schaffen und für Father & Son, we are all the same. Entspannte Gesichter, eine fast kindliche Erwartungsfreude vor sich her tragend, ein fröhlicher Kollektivismus. Eine Bodenwelle, der Bus springt, Wie in Afrika!, ruft eine Frau.

Erklär mir Liebe

Sich zu erklären, einem Menschen zu erklären, daß er derjenige sei, für den es lohne, sich klar zu werden. Dem man von dem Anteil über sich abgibt, der auf sich selbst schaut. An die das Gebet geht, die An-Gebetete im Sinne der Ver-Ehrung und Forderung nach Ant-Wort.
Das Beiderseitige sei in der Lage, einen Raum zu schaffen für alle Fragen nach dem Geheimnis des Lebens.

Kreatur und Mensch

Ich ginge gerne mit Ihnen diesen schönen Weg des Einverständnisses entlang. Nicht, daß es mir an Kultur und Sprache fehle, eher habe ich zuviel davon und es fehlt mir auch nicht an Freundlichkeit. Allein die Sprache dann doch ist es, die mich verraten würde. Der Schweiß und ein uralter Geruch, daß ich meine Herkunft nicht leugnen kann; die Verbindung zu jenen, die frivol ausstellen, was sie belädt; was es ja ist, was mich zur Sprache geführt hat. So einfach ist es jedoch nicht. Auch Sie mögen in eine Situation kommen, wo Ihrer Frau die Achselhaare sprießen und es Ihnen einnäßt.
Vielleicht sollten dann eine Fuge von Bach oder ein Glas Wasser nahebei sein.

Die Sitte,

einen Hinweis auf Säumiges, mit dem Messer büßen zu lassen. Und seis nur ein mißglückter Raubversuch. Blut für Ehre provoziert Blut für Blut. Oder einen Aufschrei, scharf wie eine Klinge. Inwieweit ein Kollektiv den Griff nach dem Messer mißbilligt, akzeptiert oder ihn indifferent geschehen läßt. Inwieweit kollektiv Wut & Zorn an den Rändern ausmarodieren können oder dies befürchten lassen.

Auf der sicheren Seite kann ich gut spotten. Wenn das Messer nicht durch meinen Panzer dringt, wird es sich einen anderen Weg suchen und zu meiner Waffe, auch wenn ich es nicht will.