Nachrichtenlage

Nach vier Wochen hat sich das Mobiblisierungs-Adrenalin verbraucht. Es werden Fortschritte bezüglich Sieg oder Niederlage erwartet. Pazifistische Rollenspiele kommen ins öffentliche Gespräch oder unschöne Wirkungen von Einschwörung auf der ukrainischen Seite. Es gibt Meinungen auf der sicheren Seite, die Männer, die nicht kämpfen, als Feiglinge bezeichnen.

Nach der Heroisierung des einfachen Todes, nun die des schrecklichen Todes und die Frage, was Freiheit oder Tod eigentlich bedeuten. Daß man die beschuldigt, die einen mit der Notwendigkeit ihres Kampfes und der Gefahr ihres Todes belästigen, kommt nicht selten vor, hier ist es die Abwehrhaltung von Wohlstandspazifisten.

Aber sich den Kämpfen entziehen zu wollen, nicht sterben zu wollen, ist nachvollziehbar. Ebenso, daß der Anführer die Verteidiger aufruft, nicht nachzulassen und dabei zu Mitteln der Demagogie greift und die Einigkeit und Stärke der Heimatfront beschwört. Dabei stören Kosmopoliten.

Dieser Krieg da ist das Nachglühen des Kommunismus. Seine Gewalt, sein Terror, sein Anspruch zu herrschen, ohne jemanden zu fragen. Die Lüge, die wahr wird, wenn die Fragen weggefragt sind, die Fragen die den hinweggeblasenen Idealen folgen. Was hier eine Niederlage erleidet, ist die Naivität. Die echte, die immer nach dem Sinn fragt; die falsche, die es sich schön einrichtet.
Die Rote Armee zeigt nun unter Zeugen, was sie immer war: ein Kind des Terrors. Entstanden aus dem Terror gegen Alle, die nicht in das Glück des Neuen Menschen paßten.

Die ukrainische Seite steht solange mit dem Rücken zur Wand, solange die Russen im Land sind. Sie brauchen unsere Hilfe. Aber es zeigt sich eben auch die Seite des Verteidigers, die nicht zum edlen Helden paßt.

Ent-Carbonisierung, De-Heroisierung, all die schönen Spiele des Relativismus schwinden, der Mensch, wie er gewünscht wird auch. Kampf & Tod kommen zurück in unser Bewußtsein, Arbeit & Entbehrung ebenso. Was es zu behaupten und zu verteidigen gilt: der Mensch in seiner Gänze und in seinem Widerspruch.

Der Putin-Lauterbach-Vergleich

Beide Helden aufmerksamkeitssüchtiger Mangelerscheinungen. Der eine der Despot der Wiedererrichtung eines noch nicht ganz untergegangenen Imperiums, der andere Despot seines Körpers und Utopist dieser Zumutung an sich selbst als Maßstab für Alle.
Beiden ist nicht zu helfen, der eine hat sich mit dem Imperium auf Gedeih & Verderb verknüpft, der andere ein gescheiterter Diagnostiker, ders mit Gewalt an sich selbst versucht.
Immerhin kann der Letztere verlieren, er entsalzt sich dann zu Tode, der andere kann nicht verlieren ohne zu Tode zu kommen.
Trotz der Verschiedenheit ihres Herkommens, der eine von der Straße in der Diktatur des Mangels an Allem, außer Gewalt; der andere Kind einer pädagogisierten Gesellschaft mit viel Überfluß, aber dem Mangel an Echtem, kämpft der eine mit der Welt, der andere zuerst mit sich, dann mit Deutschland – bei Europa machte ihm der andere einen Strich durch die Rechnung.
Kämpft der eine mit allen Mitteln, kämpft der andere mit der Angst, einschließlich der vor sich selbst.
Beide bekämpfen, was nicht real ist, aber ihr Kampf schafft Realität. Der eine weiß, wann er lügt, der andere erst hinterher. Beide in einem Verhältnis zu einer allein relativistisch denkenden Welt, der der Menschenverstand abhanden kam. Wladimir arbeitet damit, während es in Karl arbeitet.
Also ist Wladimir der bewußtere von beiden, jedoch nur soweit, als sein Imperium real ist.

Wehrhafte Demokratie

Francis Fukuyama hat vor 30 Jahren vom Ende der Geschichte gesprochen. Es ist so nicht eingetreten, obwohl es einen Wechsel von der historiographischen zur historisch-moralischen Betrachtung seitdem gegeben hat. Fukuyama hat von einem Sieg der Demokratie gesprochen. Aber die Demokratien haben sich seit 30 Jahren vom Notwendigen ablenken lassen. Die Unterscheidung zwischen scheinbarer und echter Gefahr wurde immer vernebelter.
Der Reinfall auf die Gefahr durch ein Virus der Endpunkt dieser Geschichte.
Das offensichtliche Nicht-Wahrnehmen von Offensichtlichem führte zu der allgemeinen Fehleinschätzung der Angriffsstellung der Russen.
In der NZZ sind seine Thesen zum Krieg in der Ukraine zu lesen.
Er spricht von einer möglichen Niederlage der Russen und einer Wiederkehr der Demokratie. Auch das ist fast Nebel. Notwendig ist eine wehrhafte Demokratie, die stark nach Außen und innen pluralistisch und streitbar ist. Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung hat sich noch nie so stark wie in ihrem Fehlen während der Pandemie gezeigt.
Alle sind nun kalt erwischt worden, außer Teile der amerikanischen Geheimdienste und des Militärs, sowie der Ukrainer. Hier zeigt sich, daß ein aktives Training von Verteidigungsbereitschaft zu den Notwenigkeiten von Nationalstaaten gehört. Genauso ist der Nationalstaat in seiner Überschaubarkeit eine Voraussetzung für Demokratie. Eine universalistische Demokratie ist Wunschdenken.
Ja, es ist möglich, daß es eine große Rück-Besinnung auf die Demokratie geben wird. Aber gerade die Tapferkeit, mit der die Ukrainer sich verteidigen zeigt, daß es ohne die Verbindung zu einer nationalstaatlichen Idee nicht geht.
Fukuyama geht in seinen Thesen zu undifferenziert mit denen um, die er Populisten nennt. Denn einige dieser haben eben gerade die Notwendigkeit wehrhafter Demokratie erkannt. Polen hat es mit einem aktiven Grenzschutz praktiziert, so wie es jetzt aktiv die Ukraine unterstützt.
Notwendig die aktive Diskussion darum, ob eine Mehrheit in einer Demokratie ihren Willen einer Minderheit aufzwingen darf. Notwendig ist die Infragestellung ideologisierter Sachfragen (Klima, Energie, gruppenidentitäre Befindlichkeiten). Durch den Krieg sind die Demokratien auf ihre Notwendigkeiten zurückgeworfen worden. Den Optimismus Fukuyamas teile ich so nicht, es muß sich erst zeigen.

geheime Wahrheiten

In Achtundvierzig Stunden, so der amerikanische Geheimdienst.
Der Chef des deutschen Nachrichtendienstes wird in Kiev kalt erwischt.
Es dauert aber nun schon den dritten Tag und niemand scheint die Russen mit Fahnen zu begrüßen.
Der russische Präsident wird ungeduldig, reichten seine Pläne nur für zwei Tage?
Wer wird das büßen müssen?
Es ist die Zukunft, gegen die die Ukrainer kämpfen. Ein Kommunismus ohne Versprechen, allein Macht, Zwang und Terror.
Wir sehen die Rückzugsgefechte seiner Freunde hierzulande, ein Rückzug aus geheimen Gewaltphantasien.
Aber der russische Präsident hat eine Armee und sie nicht.

Sterbenskraft

Kafka: Die Menschheitsentwicklung – ein Wachsen der Sterbenskraft.

Vielleicht geht es um die Verhinderung einer sakramentalen Erkenntnis des Todes jenseits bisheriger Religion.

Bisherige Religion: Deutung des Todes außerhalb des Bewußtseins.

Nun dringt der Tod in das Bewußtsein dem Gott fehlt. Es wehrt sich alles in uns. Eine Stundung gäbe ein innerbewußtseinlicher Gott. Die Frage ist, ob dieser sich jenseits oder diesseits von Gut & Böse befindet.
Diesseits: wir teilen die Welt in Gut & Böse ein, um ihm zu gefallen.
Jenseits: Wir handeln, obwohl es ihn gibt.

Die Covid19-Angst-Welle bleibt nicht die letzte Verhinderung des Todesbewußtseins.

Im Prinzip kann man Kafka zustimmen, nur passiert es nicht linear. Vor den Bewußtseinswellen kommen die Verhinderungswellen und mit ihnen die archaische Muster. Verhindert wird Todeserkenntnis indem man auf die zeigt, die sich der Verhinderung verweigern.

Nicht mehr auf die anderen zeigen.

Der immer schneller rasende Fortschritt der technischen Moderne hat den Tod in den Schatten der Geschwindigkeit rücken lassen.
Daß Hervortreten des Todes läßt die Geschwindigkeit vorbeirauschen, wir treten einen Moment hinaus, jedoch die Trägheit der Geschwindigkeit verzerrt die Betrachtung des Todes.
Wir gleiten an der Erkenntnis vorbei, indem wir eher bereit sind zu opfern, als zu sterben.

Als Kafka diesen Satz schrieb, war er an Tuberkulose erkrankt und in dem Krieg seiner Zeit wurde der tausendfache Tod als Heldentum banalisiert.
Heute ziehen wir den alltäglichen Tod ins Heldenhafte.

Nur Sprache

auch ohne
Sprache. – Paul Celan

Es gibt allerdings Unaussprechliches.
Dies z e i g t sich, es ist das Mystische. – Wittgenstein

Die Deutung der derzeitigen Ereignisse ist nur in der Sprache und aus ihr heraus möglich. Die Sprache als Mittel scheinbar wissender Deutung versagt der Deutung den Dienst. Eigentlich versagen alle Mittel, einzudämmen, was durch Angst wächst.
Eine Monströsität gebiert eine neue. Erkenntnis verliert sich in ihrem Dschungel; nur die Sprache, die Sprechen & Sein ist, wegt sich durch das Unübersichtliche und schafft sich irrend neue Wege.
Eine Gemeinschaft einsam Sprechender, einander sich sehend und wegend.
Eine technokratisch-irrationale Situation kann nicht technokratisch und schon gar nicht irrational erklärt werden.
Mittels Logik kann nur gezeigt werden, was diese außer Kraft setzt.
Die Sprache in ihrer Ambiguität, ihrer Wurzel im Laut, in der Regung – im Peak rational – in ihrer Gesamtheit surreal; allein so kann Sprache sprechen.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. – Wittgenstein

Was ist?

Es ist die Angst vor dem Verlust einer Situation des Wohlstandes, die einen in der Illusion der Gefahrlosigkeit gefangen hält. Diese Angst wird durch mittelbare Gefahren stimuliert. Unmittelbare, direkte, echte Gefahr wird ausgeblendet, bzw. die mittelbare wird zur unmittelbaren Gefahr.
Jedoch nur scheinbar, aber dieser Schein überstrahlt und Alles wird zur Gefahr.

Die Angst im Schatten des Gesetzes

Das Archaische reicht aus der Vergangenheit des Menschen bis dahin, wo Unbewußtes Bewußtsein wird. Es reicht in unser Rechtssystem, seine Institutionen. Es ist in unserer Sprache, in den Spielen, nicht nur denen der Kinder.
Es ist in jeder Zeit und Gesellschaft anders, die Ägypter empfanden andere Dinge als überwunden als die Römer oder wir heute. Das Archaische ist das, was manche als primitiv empfinden, als nicht mehr zeitgemäß.
Es ist das Erbe an instinktivem Verhalten in unserem Wesen, das sublimiert Kultur und Sitte wird.

Adam erkannte sein Weib Eva. Der Begriff Erkenntnis zeigt in der Sprache, wie das Archaische in sie hineinreicht. Erkenntnis ist Sex, als das Begreifen des begehrenswerten Anderen. Es ist Liebe. Es ist Erkenntnis als intellektuelle Kulturleistung, durch die wir moderne Menschen wurden. Erkenntnis reicht vom Kreatürlichsten zum Intellektuellen, sie ist archaisch und modern zugleich.

Archaisch ist die Rache, die Ekstase, die Aggression, der Krieg, die Autorität der Alten, das Tabu, der Tribalismus der Horde und sein Verlangen nach Loyalität. Es ist das Wort, das ich halten muß, bei meinem Leben. Es ist der Aberglaube, der Glaube daran, daß alles beseelt ist.

Das Archaische ist der Fall-Back-Modus, wenn es kulturell nicht mehr geht.
Wir haben durchaus Lust an der Verfeinerung, der Differenzierung, an dem, was Kultur ausmacht. Wir können es bei Kindern beobachten, darin wie sie uns nachahmen.

In Situationen der Überforderung, des Drucks, der Aggression verlieren wir die Contenance und verlieren das Gesellschaftliche, das wir spielen. Kultur und Gesellschaft sind auch ein Spiel, in dem wir mitspielen.
Unsere Lust und Freude an Erkenntnis, läßt uns an Verbesserung und Verfeinerung arbeiten. Kinder möchten groß werden und solange wir nicht überfordert werden, wollen wir Verbesserung.
Kinder zeigen am deutlichsten die Begegnung zwischen dem Archaischen und der Kultur. In beide Richtungen, vor und zurück, in ihrem Nachahmen und ihrer Grausamkeit.

Es ist auch die Angst. Die vor Gespenstern, der Angst im dunklen Wald. Die Angst vor dem unbekannten Geräusch in der Stille. Die Angst vor dem Archaischen in uns, im Anderen, im Fremden.
Daß wir Menschen geworden sind aus Angst. Wir haben uns Waffen zum Schutz gebaut, Werkzeuge und Technologien, mit deren Hilfe wir vorsorgen können gegen den Hunger und die Kälte im Winter.
Die Angst der Tiere: das Reh zittert und flieht. Selbst Fuchs und Bär trollen sich. Affen klettern auf Bäume. Flucht- und Schutzinstinkte, die in unserem Unbewußten da sind. Sie und alle anderen Instinkte bilden die Quelle der Überraschung darüber, wie archaisch wir Menschen eben auch sind.
Daß unsere Angst eine andere, als die der Tiere ist, hat damit zu tun, daß wir nicht nur auf Gefahren reagieren. Wir wissen, daß es sie gibt, sie rufen sich selbst aus unserer Erinnerung in unser Bewußtsein.
Aber was unsere Angst verstärkt, ist auch die Voraussetzung, den Stier bei den Hörnern zu packen, die Gefahr anzugehen.

Dann gibt es noch die Angst vor der Angst. Die Mutlosigkeit vor dem Schritt, die Hörner zu packen.

Die Industriegesellschaft ist die Grundlage für das moderne Leben. Vor über einhundert Jahren waren ihre Transmissionsriemen und Räderwerke sichtbar, die Stahlwerke rauchten, der Lärm der Dampfmaschinen war unüberhörbar.
Es gibt immer noch Maschinen, Lärm, aber wir können nicht mehr nachvollziehen, wie sie funktionieren, sie sind zu schwarzen Schachteln geworden. Die zunehmende Abwesenheit schwerindustrieller Produktion aus Ballungsgebieten heraus, hat die gesamte Industrieproduktion selbst in eine Black-Box verwandelt.
Manche glauben, man könne an dieser Box drehen und schrauben wie man will. Nach wie vor ist aber Industrieproduktion die Umsetzung der Verfeinerung von Wünschen nach Dingen, die das Leben erleichtern: der Schritt von der ersten Sichel aus Holz mit Steinklingen zum Mähdrescher.
Sie ist die intellektuelle und manuelle Leistung einzelner Vieler in einem komplexen gesellschaftlichen Biotop.

Das system of boxes hat uns die Angst nicht und auch nicht die Angst vor der Angst genommen.

Trotz der zunehmenden Abwesenheit von Gefahr nimmt unsere Angst nicht ab. Im Gegenteil, die Bannung von Gefahren scheint eine Art Leere zu erzeugen, in die unsere Angst mit Lust zu strömen scheint.

Wir haben Angst, daß wir die Box auf Rädern verpassen, sei sie Lieferdienst oder Transportmittel. Daß wir Boxen in unseren Händen falsch bedienen, daß aus der kafkaesken Box, die das Schloß, die Behörde ist, die falschen Briefe oder Nachrichten in den Briefkasten flattern. Eine hypochondrische Manie, die uns beim Verlassen des Hauses zwingt, permanent aufzupassen, nicht das Falsche zu tun.

Oder ein Virus. Möglicherweise aus einer Box namens Labor. Die Angst vor der Angst, wir versuchen mit Schutzzaubern zu bannen, was da an Bedrohlichem auf uns zuzukommen scheint. Wir maskieren uns. Vielleicht erkennt uns das Virus ja nicht, wenn das Gesicht versteckt ist. Wir verwenden Desinfektionsmittel als Weihwasser. Das ist eben auch archaisch: wenn wissenschaftliche Erkenntnisse, die eigentlich immer von einem permanenten Prozeß des Zweifels begleitet werden müssen, in unser magisches Denken hinein verfestigt werden.

Offensichtlich geht einer Gesellschaft, die sich über ihre Produktionsweise nicht mehr im klaren ist, auch das Verhältnis zu sich selbst verloren. Im Einzelnen und in Gruppen.
Im Schatten der Black-Box entwickeln sich tribale Strukturen, von manchen Blasen oder Parallelgesellschaften genannt. Das Archaische kehrt zurück, je mehr kulturelle Errungenschaften als nicht mehr brauchbar gesehen werden. Im Schatten des Rechtssystems entstehen archaische Systeme.

Kultur- und Staatsbildung macht aus, dumpfe Volksgefühle in klare Rechtsprechung zu wandeln.
Möglicherweise hat die Verfeinerung dieser Prozesse zu einem Verlust an Präzision geführt. Der Drang, für jedes Problem, jede Gefahr einen Bann im Gesetz zu schaffen, scheint Rechtssysteme zunehmend zu ermüden, sie damit in ihrer Wirksamkeit zu entschärfen.

Der Wunsch des Staates nach Durchimpfung aller Bürger gegen SarsCov2 als eine zu zwingende Maßnahme, müßte in eine Rechtsform münden und die dafür nötige Mehrheit und Akzeptanz finden.
Da offensichtlich befürchtet wird, daß weder Akzeptanz noch Rechtsstaat das hergeben, wird dieser Wunsch an ein dumpfes, gäriges Volksgefühl übergeben.
Der Rechtsstaat kapituliert vor dem magischen Denken, daß eine Kommunion, eine Eucharistie der Impfung, die ganz offensichtlich von einer nicht unerheblichen Menge gefordert wird, eine Lösung wäre.
Nun tu doch was!, ist die Forderung nach einem Irgendwie des Handelns, wenn nichts mehr geht. Diese Forderung bringt selten rationales Handeln hervor, wenn ihr unbedingt Folge geleistet wird.
Nämlich der Frage nachzugehen, ob denn überhaupt und unbedingt und unmittelbar, immer etwas getan werden müsse.

Möglicherweise entstehen über diesen Umweg Gesetze, die wirksamer scheinen, als das Grundgesetz, obwohl sie diesem widersprechen. Das Grundgesetz dieses Landes setzt keine Handlungsoptionen bei Gefahr, sondern Grenzen gegen Gewalt. Es vertraut dem rationalen, streitbaren Austausch über Handlungsoptionen.

Die SED versuchte im Dezember 1989 durch eine Kampagne gegen polnische Staatsbürger, die unseren Bürgern Waren wegkaufen, von sich abzulenken.
Die Nationalsozialisten haben permanent das Rechtssystem von Weimar dadurch erodiert, daß sie einem Volkswillen freien Lauf ließen, einem Volkswillen, den organisierte Mobs manipulierten, flankierten und verstärkten.

Ich weiß nicht, ob es heute um Ziele geht, die aus einer rationalen Entscheidung der Politik hervorgehen, die mit Kampagnen zur Meinungs- und Entscheidungsbildung unterstützt werden.
Vielzusehr sehe ich gruppendynamische Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen. Sie finden immer weniger in demokratischen, rationalen Entscheidungsfindungen statt.
Aber immer mehr spielt das Archaische dabei eine Rolle.

Das Dämmern der Welt

Werner Herzog erzählt über Leutnant Hiroo Onoda, der von 1945 bis 1974 seinen Auftrag auf der phillippinischen Insel Lubang ausführte. Er solle die Stellung halten und für eine japanische Reinvasion bereit sein.
Japan kapituliert im August 1945, Leutnant Onoda hält die Stellung noch 29 Jahre.
Er entwickelt, ohne daß er eine Ausbildung dafür erhalten hätte, eine nachhaltige Guerillataktik, die ihn überleben läßt, obwohl alle Welt weiß, daß dieser Mann dort im Dschungel existiert. Herzog erzählt seine Geschichte schlicht und kurz, nur das Essentielle aus Onodas Situationen. Es entspricht dem Minimalismus japanischer Tradition.
Onoda wird ein hochqualifizierter Spezialist des Überlebens und des Kampfes im Dschungel. Alles, was er tut ist maßvoll, er plündert keine Dörfer aus, er nimmt sich nur, was er unmittelbar zum Überleben braucht, er tötet nicht ohne Not. Und ist gleichzeitig maßlos, was die Erfüllung seines Befehls betrifft. Er ignoriert alles, was auf ein Kriegsende hindeuten könnte. Er ist in seinem unmittelbaren Handeln absolut rational, mit der Welt um sich befindet er sich weiterhin im Krieg. Alle Zeichen (Flugzeuge und Schiffe nach Korea, nach Vietnam) deutet er als Verlagerung des Kriegs, in dem Japan noch immer kämpft.
Eine Erweiterung des Höhlengleichnisses, nur das Onoda in seiner Höhle nicht fixiert ist, er ist dort zumindest so frei, daß er seine Fähigkeiten, sein Talent und Können zu Überleben entwickeln kann. Eine Form der Askese.
Aber die Welt sieht er mit den Augen eines, der im Endkampf steckt, der nur kurz aufrechterhalten werden muß, um den Krieg zum Sieg zu wenden.
Die Welt außerhalb liegt für ihn im Dämmer, aber die Welt selbst auch, denn sie rettet ihn nicht. Erst ein naiver junger Japaner ist dazu in der Lage. Es spricht für Onoda, daß er auf ihn reagiert, ihn nicht tötet. Der Unschuldige, der das Biest erlöst.
Aber das Dämmern der Welt ist auch der Widerspruch, den Herzog beschreibt. Man kann auf der einen Seite total rational sein und das Überleben gibt einem recht. Sich aber auf der anderen Seit total irren. Daß sich diese Geschichte wie ein Märchen auflöst, ist ein Trost. Keiner für die zwei Männer, die ihm die Treue hielten.