Don Quichote

Verteufeltes, erschreckliches Pack, gebt sogleich die edlen Prinzessinnen frei, die ihr in dieser Kutsche verschleppt. Wo nicht, seid ihr eines raschen Todes gewärtig, als gerechte Strafe für eure bösen Werke.

Eine Ungeheuerlichkeit, die nicht zu übertreffen ist, da sie den Ort dort verlassen hat, wo wir Urteil und Maß anwenden können. Die Situation, auf die Don Quichote trifft, hat absolut nichts mit dem zu tun, was er sagt. Man kann ihn also nur noch wortwörtlich ernst nehmen oder sich von dem Wahn abwenden, kopfschüttelnd.
Insofern gleicht das dem heutigen linken Aktivismus. Nähme man das, was da abgesondert wird, wirlich ernst, begäbe man sich in eine aberwitzige Achterbahnfahrt, aus der man ohne Schaden an Leib und Seele nicht herausfindet. Da ist die Situation des Ritters komfortabel gegen. Er wird wieder verhauen werden und sich als moralischer Sieger sehen. Allerdings geht es auch dem Knappen schlecht. Sancho versucht opportunistisch aus der Situation Profit zu ziehen und wird ebenfalls verhauen.

Don Quichote

Mein Name sei Don Quichote von der Mancha. Zum Ende seiner ersten Ausfahrt vergleicht er sein Schicksal mit dem der Helden aus seinen Romanen. Er ist arg verprügelt worden, weiß er noch wer er ist? Dem Bauern aus seinem Dorf, der sagt, er wäre doch der Herr Quijana, antwortet er: Ich weiß, wer ich bin.
Daß er sich entscheidet für einen Namen, mit dem er für seinen Wahn, sein Tun verantwortlich zeichnet.

Vierzig Jahre Woodstock, eine Stunde arte

Ich zappe immer wieder weg. Menschenmassen zu beobachten, wie aus der Totale in das Einzelne gezoomt wird, das hier den Status des Besonderen bekommen soll, den es aber nicht hat, langweilt.
Einer der Veranstalter stellt das Utopische über das finanzielle Desaster des Festivals und begründet den Pop-Mythos, der es nach 15 Jahren Schuldentilgung in die Gewinnzone schiebt.
Innerhalb der Stunde Zuschauens wachsen in der vergangenen Festivalzeit die Müllberge. Der Regen läßt sich auch durch Regentanz nicht vom Fallen abhalten.
Ich steige bei Richie Havens ein und bei John B. Sebastian aus.
Joan Baez singt Joe Hill, ich glaube kein Wort. Sie hat in ihrem ganzen bisherigen Leben weder ein Bergwerk, noch eine Fabrik von innen gesehen. Wahrscheinlich trifft es auch auf die Autoren des Songs zu. Sie schaut verlogen bis ins Mark. Aber sie bedient ein Etwas, dem Protest einen proletarischen Background zu geben.
Das sind allesamt nette Kinder. Man telefoniert nach Hause, Mama zu sagen, daß man noch lebe und es nicht so schlimm wäre, wie in den Nachrichten. Die Minderheiten, für deren Freiheit man ja auch dort sitzen würde, sind die Ausnahme, sie werden von der Kamera fixiert. Das Publikum ist weiß und keine Arbeiterklasse.
Für wen singt und schreit Richie Havens nach Freiheit? Daß er sich dort mutterseelenallein findet: für sich selbst?
Die meisten meiner Punkte für die Musik gehen nach Great Britain. The Who, Alvin Lee und Joe Cocker. Thats Rock’n Roll! Alvin Lee erzeugt eine Grundspannung kurz unterhalb der Extase: in Riffs! Dann springt er geschwind, gezupft, gekonnt immer wieder knapp über diese Linie.
Das ist für The Who Teil der Show als zornige junge Männer. Kein weiterer Kommentar, wer das so kann, dem glaubt man das, der glaubt das selbst und kann es auch deswegen.
Die rudernden Arme des Klempners aus Sheffield, der gewiß etwas Hilfe seiner Freunde braucht. Nur gerade da nicht, wo es um die Kunst geht, jeder Einsatz sitzt, jeder Ton wird getroffen, um nur annähernd festzustellen, was diesen Auftritt so besonders macht.
Die blauen Augen von Grace Slick, ihre Stimme erzeugt mit der E-Gitarre einen besonderen Sound. Leider hält er nicht, was er verspricht, die musikalischen Ideen von Jefferson Airplane verläppern sich. Sie spiegeln ihr Publikum, auch äußerlich. Grace Slick steht am Bühenrand und beißt sich vor Eifersucht auf die Lippen, während sich ihr männlicher Kollege produziert.
Bei John B. Sebastian schalte ich aus, soviel Banalität ist kaum zu ertragen, sein wichtigster Beitrag ist die Bitte, etwas Müll mit nach Hause zu nehmen.

Don Quichote

Zuerst wähnen wir, Don Quichote würde die Illusion über die Wirklichkeit stellen und wir als Beobachter (an Sanchos Seite) wüßten Bescheid.
Aber löst er nicht den Widerspruch zwischen Denken und Handeln, indem er mit Ernst und Würde in seine Rüstung steigt? Ist es nicht sogar ein Privileg, dies konsequent und immer tun zu dürfen und verbindet ihn das nicht mit allen Arbeitern, für die Pause, Freizeit und fertig machen nicht zu existieren scheinen?
Don Quichote genießt die Anerkennung durch die Welt, indem er den Spott nicht hört. Die Spötter müssen sich fragen, was Illusion ist, ihr Spott oder der Wahn Quichotes. Sie kehren dahin zurück, wo sie täglich gegen ihre Vorsätze verstoßen, die möglicherweise in ihrer Unerfüllbarkeit selbst Illusion sind. Oder die Befriedigung über ihre Erfüllung. Den Ritter ficht das nicht an. Er reitet in den nächsten Konflikt, den er (er)findet. In den er eingreift und mit dem er eigentlich nicht zusammenkommt. Nach jedem Konflikt hat sich die Situation geändert, die Intervention jedoch niemals das Gewollte erreicht. Die Determination geht eigene Wege oder existiert möglicherweise garnicht.
Don Quichote stellt die Frage nach dem Schicksal, die uns bis heute dahingehend beruhigt, daß wir ja nicht anders handeln konnten. Der Don schon.