Im Zauberberg

Meine derzeitige Lektüre: Der Zauberberg, Thomas Mann. Sonette an Orpheus, R.M. Rilke. Sphären, P. Sloterdijk. Aktuell: Die Welt. NZZ. Steingarts Podcasts. achgut.com. tichyseinblick.de. rki.de. Für und gegen den Aberwitz: Bernd Zeller und Harald Martenstein.

Freiheit heißt das Kapitel, indem Hans Castorp die Diagnose erfährt, die ihm den weiteren, längeren, sieben Jahre dauernden Aufenthalt auf dem Zauberberg gestattet.

Der Blick auf eine Gefahrensituation. Nicht zu wissen, was Richtig oder Falsch wäre. Wie groß die Gefahr überhaupt wäre und wie groß das persönliche Risiko ist.

Wie werden Tote abgerechnet? Sind es normale Tode, Tode, die ohnehin passiert wären, oder solche, die verhindert werden konnten?

Wenn das Sterben plötzlich in den Focus des Alltags gerät, der es sonst nicht sehen will.

Ein unnötiger Tod bedeutet Verlust möglicher Lebens-Zeit.

Ist ein Alltag ohne Arbeit ein Gewinn von Lebens-Zeit?

Castorps Freiheit ist das Sein ohne die tägliche Verantwortbarkeit von Leistung und Können, von Lebenstüchtigkeit und Tradition. Er tauscht dieses Sein, das ihn unten auf der Ebene (Mühen der Ebene!) erwartet, gegen eines, wo Tod alltäglicher aber doch auch außer der Sprache ist. Ein Sein, das west in einem Alltag (scheinbar) heilender Rituale, kontemplativem Dasein zwischen Mahlzeiten. Klösterliches Leben, welches das fehlende Zölibat feiert. Was für ein Leben für ein Individuum, das sich sucht ohne den Schrecken des gewöhnlichen Alltags.

Dasein im Homeoffice. Ein heimlicher Generalstreik? WoGegen? WoFür?
Kaltgestellte Aktivisten neben der Kompetenz-Erscheinung der Ärzte. Ihr Eingeständnis, auch nicht immer zu wissen, was zu tun ist.

Eine Gesellschaft im Zwang zur Ent-Scheidungs-Balance.

Die Kranken, die nun sterben. Die Kranken, die irgendwann in ihrem Bett sterben.

Die, die auf dem Zauberberg leben und die, die dort sterben.

Castorp bleibt dort oben auch der Liebe zu einer Dame wegen. Kein Mädchen aus gutem Hause, das heimgeführt werden will, sondern älter als Castorp, erfahrener, scheinbar unabhängiger. Die Liebe ein Zukunftsversprechen ohnegleichen Reizes.

Die Herausforderung des Virus: eine Übung der Gefahrenlage. Kein Als-Wie, eine Übung ist hier Tun und Vorbereitung auf das Tun. Eine Übung der Gefahrenlage – wie differenziert kann eine moderne Gesellschaft auf Gefahr eingehen.
Differenziert – unter-schiedlich, nicht divers – verschieden.
Unter-Schied, Ent-Scheidung, was zu tun ist, in veränderten Lagen anders.

Homeoffice ist eine Lage, kein Tun.

Osterwasser

Eine Erkenntnis, die in mein Leben eingreift, daß es will, daß ich es ändere.
Es könnte ein Schritt zur Wahrheit sein, täte ich es.
Die Jungfrau der slawischen Mythologie, die am Ostermorgen nach dem Wasser geht, daß ihr Glück und die Liebe bescheren soll. Sie muß es schweigend tun, sonst ists dahin.
Du sollst die anderen mit der Erkenntnis verschonen, die dich möglicherweise änderte, teilst du sie mit, ist sie nicht mehr deine, ist es nicht mehr dein Leben, sondern das der anderen.

Vorstellung

Das Bild des Universums als dem eines Ballons, den wir von außen zu unserem Verständnis betrachten. Das wir inmitten sind, sein Rand sich mit Lichtgeschwindigkeit in das Nichts jenseits von uns entfernt. Können wir mit Lichtgeschwindigkeit denken? Also vielleicht schneller als wir denken können.
Es sendet uns seine Mikrokosmen, fraktal ineinander verschränkte Modellwelten, unverständlicher von Betrachtung zu Betrachtung. Schauen wir wieder von außen auf den Ballon, diesen ewigen(?) Airbag aus Urknall, einem Wunsch nach einem handlichen Spielzeug, im Augenwinkel die dauernden Explosionen. Ein Sog aus Ignoranz treibt sich aus der jeweils nächsten Nachricht des Universums heraus an.

Virologie

Ein Virus ist der Träger von Informationen. Die seines Aufbaus und wie dieser repliziert werden kann. Die erste Information ist selbstbezüglich, die zweite für funktionierende biologische Organismen zerstörerisch, denn der Virus läßt seine Information aus dem Material des Organismus’ den er befällt, von diesem replizieren.
Ein Organismus entwickelt eine Abwehr oder sirbt.
Es gibt Ideen, die wie ein Virus funktionieren. Sie sind selbstbezüglich und in der Wirkung zerstörerisch. Wie Viren führen sie kein Leben, das einem aus sich selbst rollenden Rad gleicht. Sie dringen ein, replizieren sich und beginnen ihr Werk der Zerstörung. Dem menschlichen Denken sind sie eine Herausforderung; wenn es sich immunisiert, gewinnt es Kraft und Wachstum.
Eine Epidemie tritt auf, wenn virulente Ideen, Gruppen, Gesellschaften befallen. Man bemerkt Immunisierungen, wenn virulente Ideen erneut bemüht werden, aber nur wenige befallen.

Update: Selbstverständlich ist die Varianz der Replikationen von Viren, ihre Mutationsfähigkeit atemberaubend und dahingehend durchaus mit dem Bild Nietzsches von dem Aus sich selbst rollenden Rad vergleichbar. Das muß ich gerechterweise anfügen. Viren repräsentieren ja eine Vorform des Lebens: Den Übergang von der Aminosuppe zur Erbinformation.