Strukturelle Dummheit

Manchmal, wenn ich gezwungen war Langweilern zuzuhören, begann ich Strukturen in Dingen zu suchen. Risse auf Wänden, Kassetten von Täfelungen, Flecken an der Decke. Psychologen warnten davor, über Pflaster zu laufen, ohne auf die Striche zu treten. Das Suchen von Struktur in einem Chaos scheint eine menschliche Eigenschaft. In den letzten Jahren höre ich immer wieder das Wort strukturell in Beschreibung von Dingen. Schaue ich mir dann diese meist unlesbaren Texte an, wo behauptet wird, irgendwas wäre strukturell, scheint es nur die Dummheit des Verfassers zu sein, die strukturell ist. Ich meine, nachfühlen zu können, was da passiert ist. Der Verfasser saß in einer langweiligen Vorlesung, vielleicht über Strukturalismus, fuhr Linien an den Wänden ab und entwickelte eine eigene Theorie aus Wasserflecken. Leider ohne Qualität, nur aus gehörtem Gekästele, nicht ohne die Idiotie der Langeweile.
Etwas aufzublasen, was nicht nur nicht durchdacht, sondern auch dummes Zeug ist, damit andere zu quälen hat seine Geschichte. Ein Hausmeister erzählte mir, wie er in seiner Lehrzeit im Fach Staatsbürgerkunde immer nur Dreien und Vieren bekam. Weeßte, sagte er zu mir, die wollten, daß ick den Quatsch ooch noch mit eigenen Worten erzähle, Hier, dabei tippte er sich an die Stirn. Der sogenannte dialektische und historische Materialismus, ein Elaborat marxististischer Ideologen, aus Marx-, Lenin- und Stalin-Texten erstellt, daß sich wissenschaftliche Weltanschauung nannte. Nichts als aufgeblasenes Gekästele. Jeder gesunde Menschenverstand schüttelt den Kopf. In einer bolschewistischen Diktatur hat das noch eine andere Bewandnis. Es dient der Unterwerfung. Der Abdruck unabhängigen Denkens wird in diesem Matsch sofort sichtbar.

Obrigkeit und ich

Zu fordern, daß alle Beschäftigten in einem Land den gleichen Lohn bekommen ist recht und billig. Die Forderung nach der Abschaffung oder dem Verschwinden der Obdachlosigkeit hinterläßt in mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Denn mich und jeden (auch Gelben) gefragt: Bist du wirklich bereit, deinem Nächsten Obdach und Nahrung (ab)-zu-geben?

Wiedergefunden

“Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei.
Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf?
Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich.
Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir?
Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.
Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.
Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!
Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, — einen Schaffenden sollst du schaffen.
Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen…”

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Von Kind und Ehe

Nietzsche stellt die Frage in den Raum, daß finde, wer sie suche. Wäre sie Gesetz, wäre sie eine Diktatur des schlechten Gewissens, heruntergekommen auf ihre juristische Auslegung. Ich stelle mir diese Frage allein. Stellt sich ein afrikanischer Mann oder eine muslimische Frau aus Moabit diese Frage?

Klammer(Wiedergefunden in Peter Soloterdijk: Du mußt dein Leben ändern, I.I. Das Du in dem Titel ist die Anrede an sich selbst in der zweiten Person und die Aufforderung es zu tun. Der Abschnitt über den Nietzsche-Text endet mit dem Satz: “Es mag ein Recht auf Unvollkommenheit geben, ein Recht auf Trivialität besteht nicht.”)

Das persönliche Element der Demokratie

Etwas, das nicht dem entspricht, was ich meine Moral nenne. Was ich in einem Fall der Not eben doch getan, gesagt, gedacht habe.
Darf ich das einem verwehren? Wenn Toleranz das Maß an Änderung ist, das ein System erträgt, ohne zerstört zu werden, hier die des Systems Selbst; inwieweit darf ich das einem anderen System Selbst verwehren. Eine Toleranz unter Schmerzen und des Anblicks des Menschen in seiner Not und Bedürftigkeit. Ich hinke unter Schmerzen an dem Pferdefuß, den ich schleppe. Hohe Moral, ohne diese Erfahrung, ist eine Diktatur gegen den Menschen. Als Herrschaft provoziert sie das Niedrigste. Aber wo wird das All-zu-Menschliche das All-Gemeine, das Gemeine, das Niedrige?

Die Irritierten

Wir wähnten, wie leicht es sei und nur einen Steinwurf von der Wahrheit und der Freiheit entfernt. Wähnten wir, daß es nur ein Schritt sei, aus der Fron ins Freie? Und wollten uns nicht abbringen lassen von den Ängstlichen, den Zaudernden, den Allwissenden und den Mächtigen und den Sklaven. Uns irritierte ihr Irre-Sein, wie sie uns Komplizenschaft anboten. Ja sie wußten, daß wir irgendwann stolperten, im Dreck liegen würden.