Grausamkeit (Nachsatz)

Wird eine Gesellschaft grausam, wenn sie das Gewalttätige in sich tabuisiert, nicht auslebt oder zumindest kanalisiert? Stellt sich ihr kollektives Unbewußtes auf die andere Seite und die neue Grausamkeit ist die Negation der Gewalt? Oder importiert sie sie unbewußt, um einen Ausgleich zu schaffen?

Grausamkeit (2023)

Während der Corona-Zeit hat eine Mehrheit des Volkes den Staat ermächtigt, grausam zu sein. Das Motiv war Angst, die eine bedingungslose Angstteilnahme vom Nächsten verlangt und grausam gegen die ist, die die Angst nicht teilen.
Jemanden zu zwingen, eine Maske zu tragen, sich testen zu lassen oder im schlimmsten Fall, sich impfen zu lassen ist grausam, wenn der zu Zwingende weder Angst hat, noch die Notwendigkeit eines Schutzes teilt.
Stoße sie aus, sollten sie es wagen auch noch öffentlich darüber zu diskutieren.
Grausamkeit ist die Haltung, die gebraucht wird, um etwas weg zu machen, es zu vernichten. Hier: die Angstfreiheit, die die eigene Angst lächerlich macht.
Mit der Ermächtigung nach oben war es unten gestattet selbst gegen seinen Nächsten grausam zu sein.
Jedoch handelte es sich hier nur um die Simulation von Gefahr und ihre Bewältigung die Simulation einer Lösung.

Grausamkeit ist ein Mittel der Art-Erhaltung. Wer die Angst der Gruppe nicht teilt, ist eine Bedrohung.
Die andere Gruppe, die getötet werden muß, weil die Ressourcen nicht reichen.
In den Wohlstandsgesellschaften ist die offene Grausamkeit eingeschlafen oder wird nur als Randphänomen betrachtet.
Mit den großen kollektiv wirkenden Ängsten ist sie wieder da. Demokratie und Zivilisation treten in einen archaischen Modus zurück.
Niemand will grausam sein. Grausamkeit versteckt sich hinter Verordnungen deren Erfüllung einen Modus rechtschaffenden Handelns in einem GroßenGanzen simuliert.
Plötzlich gilt das Individuum in seiner Gewissens- und Entscheidungsfreiheit nicht mehr.

Mit dem Überfall Rußlands auf die Ukraine tritt offene Grausamkeit in unmittelbarer Nachbarschaft an uns heran. In tausenden Videos ist zu sehen, was es heißt, wenn Krieger mit modernen Waffen aufeinandertreffen. Wer es sehen will, kann es sehen. Für die meißten Zuseher jedoch wird das Grausame ausgeblendet und der Krieg dort versinkt im Rauschen.

Der sich beschwerende Pubertierende, dem der Protest das erste Mal kraftvoll über die Lippen kommt nach den möglichen Demütigungen der Kindheit. Die sich wegduckenden Erwachsenen, möglicherweise voller Schuldgefühle. In diese Gemengelage dringt ein 15jähriges, wenig weiblich entwickeltes Mädchen, was mit der Welt aushandelt, was es mit den eigenen Eltern tun müßte.
Das Recht des Opfers, nicht differenzieren zu müssen, führt an die Grenze, wo Protest Grausamkeit wird. Das haßverzerrte Gesicht hat kein Mitleid mit der Welt. Wer je geglaubt hat, es ginge um Klima und Umweltverschmutzung, wird von der Kufiya, die sie nun trägt eines Besseren belehrt. Wie konntet ihr nur eine Sekunde dieses Kind ernst nehmen?
Wenn respektabler Zorn (gegen die Eltern!) in Haß (gegen die ganze Welt) umschlägt, verliert dieses Kind sein Recht, daß man ihm zuhört. Denn eigentlich will sie die Vernichtung der Welt. Das Infantile, das bis weit in die Erwachsenenwelten reicht, wird in seiner Gleichgültigkeit allem wirklichen Leid gegenüber grotesk, bevor es grausam wird.
Die Proteste gegen Israel sind voll gleichgültiger Blindheit gegenüber dem ausgeübten Sadismus und der Mordlust der Hamas.

Was am siebten Oktober in Israel geschah, ist kein Krieg und wenn, dann einer, der nur aus Kriegsverbrechen besteht, weil die Mörder keine Soldaten angegriffen haben, sondern Unschuldige.

Grausamkeit ist seit dem letzten großen Krieg aus den westlichen Gesellschaften sowohl als staatliche als auch öffentliche Handlungsoption verschwunden. Dies galt als Fortschritt, nämlich daß sie durch zivile Umgangsformen ersetzt wurde.

Mit der Einwanderung von Menschen aus archaisch geprägten Gesellschaften hat sich dies geändert.

Durch die Vernetzung der Nachrichtenlage, ihre Verdichtung, gelangt das öffentlich ausgeübt Grausame zu uns.

Die Grausamkeit der staatlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie war zum Teil nur möglich, weil sich unsere Gesellschaften schon auf einem Rückzug aus der Zivilität befanden.

Eine Rückkehr scheint unmöglich, da die destruktiven Zustände in den westlichen Gesellschaften eher zu- als abnehmen. Also werden wir uns gewöhnen müssen. Sich abzuwenden wird wenig helfen.

Rom ist in einem langen Prozess durch das Christentum zivilisiert worden. Er dauert bis heute an, mit gewaltigen Rückschlägen. Wir werden uns entscheiden müssen, ob wir diesen Prozess fortsetzen oder nicht.

Der Vietnam-Komplex (2022)

(Vietnam)
Nicht Mitleiden (täuscht euch nicht)
Die Angst zwingt zum Wegsehn
Wir bluten aus den leicht vergeßnen nie vergeßnen
Uralten Wunden. Das letzte Gefecht ist
Das erste. Die Schreie verbrauchen die Luft
Zurückgeworfen von übervielen tauben Trommelfellen
Wer da noch hört: reiß die Ohren auf
Bewege Hände, Beine, atme
Gegen den Schnee! Reiß den neben dir
Aus dem tödlichen Schlaf. Es ist nicht Vietnam
Hörst Du
Es ist nicht Vietnam

Inge Müller

Siebenundzwanzig Jahre lebte ich in einer Diktatur, dazwischen ein halbes Jahr Jahr ohne Macht und fast zweite siebenundzwanzigste Jahre in einer von mir insofern frei empfundenen Gesellschaft, als daß sich niemand in mein Leben eingemischt hat.
Kommunistische Funktionäre und westliche Linke waren für mich verschiedene Dinge. Inzwischen sehe ich kaum einen Unterschied. Hier ist über die Zeit etwas zusammengewachsen, was lange nicht zusammengehören zu schien; die einen waren den anderen zu dogmatisch, die anderen den einen zu undiszipliniert. Die Beherrschten im Sozialismus wehrten sich mit Trägheit gegen die Direktiven, besonders erfolgreich in Ländern wie Polen, wo man das schon gegen andere Fremdherrschaften geübt hatte. Eine Verkehrung scheint Wirklichkeit geworden zu sein: Nach links gewendete Regierungen üben sich in Trägheit und gleichen das durch Ideologie aus, während die Bevölkerung versucht ihr Leben zusammenzuhalten. Je mehr Ideologie, desto weniger Tat, aber die anderen, die die noch tun, sollen auch nicht tun oder sie sollen abgeben, was sie sich durch Tun erarbeitet haben. Es ist der Wille, die Menschen um sich herum nach seiner Vorstellung prägen zu wollen.

Ein Sklave kann sagen, Herr gib mir mehr zu essen, dann kann ich auch besser arbeiten. Das gilt für jeden, der abhängig beschäftigt ist, der nicht einfach sagen kann, ich lasse den Hammer fallen. Und doch hat sich der Raum für diese Entscheidung vergrößert, aber die, die solche Entscheidungen treffen könnten, nutzen diesen Raum nicht, den sie füllen und damit vergrößern könnten.
Für mich ergibt sich daraus eine Entscheidungssituation. Daß ich nämlich zuerst tätig werden muß, wenn ich diesen Raum vergrößern möchte. Ich muß selbst nach einer für mich geeigneten Bewegungsform suchen, da tätig zu werden. Niemand wird das für mich tun.
Wer soll zuerst tätig werden, ich oder die anderen?
Ein Aktivist oder Funktionär, der fordert, die anderen sollen etwas tun, damit anderen etwas ermöglicht werde, schafft sich eine bequeme Position in einem Raum, in dem er das, was er für sich nicht tut, von anderen fordert. Er füllt die Lücke einer selbsttätigen Handlung, die der Einzelne tun müßte. Die Aktivitäten von Funktionären, die so heißen, weil sie eine Funktion menschlichen Handels erfüllen, ohne die Konsequenz die ein ganzer Mensch tragen muß, sie sind die Lücke, die die Angst des Einzelnen sich nicht traut zu überwinden.
Sie sagen, laß den Hammer fallen und wenn der Arbeiter sagt, aber wenn ich ihn fallenlasse hat meine Familie nichts mehr zu essen.
Lange habe ich Linke mit der Arbeiterbewegung gleichgesetzt.
Arbeiterbewegung ist das Handeln mit dem Potential des Hammerfallenlassens, was das Leben der Arbeiter versucht zu verbessern. Zwar haben Linke die Arbeiterbewegung ideologisch und politisch okkupiert (Marxvs Lasalle) aber die Arbeiterbewegung ist im Kern konservativ, auf Erhalt bedacht, denn nur das Erhaltene kann mehr Lohn zahlen.
Es ist eine sehr eigenartige Eigenschaft, von anderen zu verlangen, was sie zu ihrer Befreiung tun sollten, was man selbst nicht leistet. Der Raum wo der Hammer fällt als intellektueller Spekulationsraum. Die Linke ist der klassische Zustand des unzufriedenen Nicht-Handelns und des Erwartungs-Zwangs, daß andere das tun müßten. Nach Oben sowie nach Unten. Als Menschenbild ergibt sich daraus eine beherrschende Welt, die böse und eine beherrschte, die dumm ist.
Sind Linke an der Macht, bleibt das Böse als “Der Feind”, “Das Klima”, “Der alte weiße Mann”, die abschätzige Haltung gegenüber den “Opfern” für die man da ist ebenso.

Die Ignoranz Linker gegenüber dem souveränem Akt eines Volkes, die Bedrohung seiner Existenz korrespondiert mit der Verdrängung dessen, daß die meißten kommunistischen Diktaturen von Massenmördern angeführt wurden. Eine Verdrängung ins kollektive (und auch historische) Unbewußte der Linken.
Die Linke, besonders in Deutschland fand sich nach den Schocks, ausgelöst durch Chrustschows Geheimrede neu im Protest gegen den Krieg in Vietnam. Die USA unterstützen das südvietnamesische Regime, das nicht allein in der Lage war, sich gegen den hybriden Krieg, den die nordvietnamesische Armee über den Ho-Chi-Minh-Pfad gegen Südvietnam führte, zu wehren.
Der Protest gründete sich auf die Legitimität des nordvietnamesischen Krieges und die Illegitimität des südvietnamesischen Regimes. Es gab Verträge, die die Souveränität beider Staaten und die Grenze dazwischen garantierten. Gebrochen wurden diese durch Nordvietnam.
Eigentlich richtete sich der Protest in Deutschland eindeutig gegen die Amerikaner. Es war der willkommene Anlaß einer nachfolgenden Generation von reeducateten Kriegsverlierern, aus der letzten Schulbank amerikanisch-britischer Demokratieerziehung zu pöbeln. Das Pöbeln richtete sich auch gegen die aus dieser Schulbank schon entlassene ältere Generation.
Daß Ho-Chi-Minh im Zuge der Landreformen ca. 10000 Menschen ermorden ließ, hat die Linke verdrängt. Im Grunde die Wiederholung der Fehlleistung vorheriger Generationen bezüglich Stalins.
Die Fehlleistung gründet sich aus dem Prinzip, daß der Feind meines Feindes mein Freund ist. Die grundsätzliche Feindseligkeit Linker eigentlich gegen alles, was nicht so denkt, wie sie, versteckt sich hinter dem Wort Kritik.
Die Linke sucht immer wieder nach neuen Gruppen, mit denen sie sich identifizieren kann.
Im neunzehnten Jahrhundert okkupierte die marxsche Richtung die deutsche Arbeiterbewegung und verdrängte den lassallschen Pragmatismus. In immer wieder neuen ideologischen Kämpfen gegen den Revisonismus genannten Pragmatismus, versuchte die Linke, die Arbeiterbewegung zu dominieren. Dabei war dieser durchaus erfolgreich, im Kaiserreich, weniger in Weimar, viel mehr in der Bundesrepublik. Der pragmatische Weg, möchte eine besseres Leben für die Arbeiter, der ideologische eine Zerstörung der Wirtschaft, des Staates, dessen Übernahme am Ende. Meistens ohne Erfolg. (Hier wäre einzufügen, daß auch der Nationalsozialismus zur Linken gehört, mit einer besonderen Zerstörungswut) Es ist ein Irrtum, die Linke mit der Arbeiterbewegung gleichzusetzen. Die Linke sah sich als erzieherische Avantgarde der Arbeiter, heute als die der restlichen Bevölkerung, nämlich derer, die schwarz, migrantisch oder sonst irgendeine minderheitliche Identität besitzen.
Ihr Haß auf bestehende Verhältnisse, ihr Eifer, daß sich unbedingt alles ändern müsse und daß dies in jeden Kopf geprügelt gehöre, hat vielleicht seine Ursache in einem Mißfallen daran, aus den Gegebenheiten einer Situation heraus zu arbeiten. Es gibt keine erfolgreiche Arbeit, die nicht auf etwas aufbauen kann. Ohne Tradition kein Fortschritt. Alles umzustürzen, bei Null anfangen zu wollen, ist eine Allmachtsphantasie. Möglicherweise kommt sie aus dem Gefühl einer Ohnmacht, einer Lähmung angesichts der Begrenzung von Möglichkeiten. Und aus Mangel an Phantasie, einem fehlenden Vorstellungsvermögen, das aus Vorhandenem baut. Man schaue sich nur an, wie groß die Diskrepanz zwischen der Lebenswirklichkeit und dem ideologischem Getön in Diktaturen ist, wo die Linke an der Macht ist.
Da das vietnamesische Volk, das unter dem Terror der amerikanischen Armee leidet. Der Terror der Vietminh dagegen war nicht sichtbar, dort gab es keine Korrespondenten.
Sie sucht diese Identifizierungsgruppen immer wieder neu, da diese sich oft nicht so verhalten, wie gewünscht. Sie stiehlt sich aus einem Identifikationsraum hinweg, wenn die klare Freund-Feind-Geografie sich aufzulösen droht. Wobei die Gründe selten aufgearbeitet werden. Die, die das tun, sind oft nach inneren Auseinandersetzungen keine Linken mehr.

Die Ablehnung dessen, daß sich die Ukraine tapfer und resolut verteidigt, kann durchaus mit einem Blick in das kollektive Unbewußte der Linken erklärt werden. Nämlich die unkritische Haltung gegenüber den Mördern Lenin, Mao, Pol Pot, Stalin, Che Guevara, Trotzki, nun in eine ignorant-kritische gegenüber den Ukrainern verwandelt wird. Die Negation einer Übertragung. Die Leerstelle der fehlenden Kritik da, wird hier und heute gefüllt. Ein weiterer Antrieb ist der Haß auf die Amerikaner, das haben (besonders die deutschen) Linken tief verinnerlicht. Im Grunde ist es der Haß auf die Freiheit, die Infragestellung des eigenen Weltbildes, vielleicht sogar ein Nichtzugebenwollen eines gescheiterten Lebens.

Das Streben nach Glück (ursprünglich: 2018)

In Deutschland scheint alles Streben zum Erliegen herunterzukommen. Das Streben nach Glück – gab es das je in D? Streben nach Erfolg und der Freude, die sich einstellt nach Arbeit & Mühe. Streben nach Wissen: Warum?. Streben nach Schönheit & Liebe. Streben nach Arbeit und Erschöpfung und der Leere, aus der Erfüllung wächst. Streben nach dem, was passiert, wenn man nicht mehr streben muß. Streben nach seinem Tod.

Beschreibung eines Kampfes

Der Übermensch Nietzsches hat nichts mit einem Herrenmenschen gemein, sondern ist der Einzelne, der über sich selbst hinaus wächst. Dieser Kampf findet im Individuum statt und braucht keine anderen.

Kafka wußte das und seine Literatur ist die Beschreibung dieses Kampfes zeitlebens. Seine Angst, diesen Kampf zu verlieren – ist sie (s)eine Todesursache?

Aber ohne diese Angst kann man nicht kämpfen.