Restrisiko

Das Restrisiko zu sterben, ist erstaunlich hoch, wenn man die Sache vom Ende her denkt. Bis an die technische Moderne heran bestimmte im Bewußtsein der Menschen weitestgehend der Zufall den Tod. Der Zufall war zugleich Trost und hieß Gott. Medizinischer Fortschritt unter anderem führt zu wissendem Handeln, vermindert den Zufall. Die Verlängerung des Lebens und seiner Qualität sind die Folge. Aber sein Restrisiko verringert sich nicht. Eine Verhältnisrechnung – hier Verlängerung, da Verringerung – geht, was den Tod betrifft, am Ende nicht auf. Denn man kann die Spanne zwischen Eins und Null nicht unendlich verlängern, indem man, je näher man der Null kommt, immer noch einen Teiler findet. Nur im Märchen verhandelt der Held mit dem Tod.
Je mehr man über medizinische Zusammenhänge weiß, desto mehr wächst die Komplexität möglicher Ursachen dessen, was eigentlich zum Tod eines Menschen führt. Obwohl jede einzelne Teil-Ursache wissenschaftlich benannt werden kann, weiß man eben vieles nicht und so bleibt ein Rest. Die Machbarkeit der Dinge, die unsere Lebensqualität erhöhen und unser Leben verlängern, stößt an die Grenze, die der Tod setzt
Gesetzt den Fall, sämtliche Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von Sars-Cov2 würden Tod und Tode zumindest im Microbereich verzögern, so bleibt doch eine ungeheure Last, die auf das Kollektiv verteilt wird. Weil durch eine Verkettung von Zufällen irgendwo ein Jemand sterben könnte, weil ich jemandem zu nahe gekommen bin, werden Kausalität und Zufall mit Schuld verknüpft. Die Verkettung von Faktoren, die im Möglichkeitsspiel mit anderen zum Tod führen könnten, wird in einen Schuldstring verwandelt.
Die Last auf dem Kollektiv kann für den Einzelnen aber auch Macht bedeuten: Ich trage eine Maske und verhindere Tod. Eigentlich ist derjenige, der glaubt mächtig zu handeln, so ohnmächtig wie der scheinbar Schuldige auch: Wie möchte er in der Komplexität von Krankheit und Tod nachweisen, daß sein Handeln Tod verhindert hat?
Sosehr es im allerkleinsten Fall sein kann, daß irgendwas irgendwas bewirkt haben könnte, könnte es das eben auch nicht. Aber wenn das Handeln des Einzelnen im Kollektiv derart aufgeladen wird, daß das Zufällige besonders wird, obwohl es für ihn nicht sichtbar ist, braucht er eine Erklärung, die nicht mehr rational ist. Sie steht als Ersatz für die fehlende Kausalkette, tritt aber nach wie vor als rational in Erscheinung. Die Maske und das Abstand-Halten mögen daher scheinbar rationales Handeln sein, die Art, wie der Einzelne das betreiben muss, um die für ihn fehlende Kausalität zu ersetzen, ist jedoch ein Ritus.
Die Natur beseelt zu finden, sich Götter mächtig und unsterblich zu denken, an Tod und Auferstehung Jesu teilzuhaben, in der Hoffnung, daß das Restrisiko gemindert werden kann. Der Glaube an eine unsterbliche Seele, kann dem Einzelnen die Kraft geben, den Verführungen von Macht, Kollektiv und Besitz zu widerstehen. Er kann ihm die Angst vor dem Tod nehmen. Mit und neben einem starken Gott kann der Einzelne stark genug sein, anderen Menschen zu widerstehen und ihnen gleichzeitig zu vertrauen.

Das Gewissen ist ein inneres Gespräch über die persönliche Verantwortung

Das schlechte Gewissen ist die Angst vor der Autorität, sei sie göttlich oder menschlich. Das schlechte Gewissen macht unfrei, z. B. das schlechte Gewissen, weil ich an dem Ritus nicht teilhabe oder ihn gar verweigere.
Schuld ergibt sich aus den Folgen einer Tat. Der Tathergang muss aber konkret nachvollziehbar sein, ich muss Antwort geben können auf meine Tat. Schuld ergibt sich aus den Folgen einer Tat. Der Tathergang muß aber konkret nachvollziehbar sein, ich muß Antwort geben können auf meine Tat. Wenn die konkrete Verbindung eines Hergangs nicht existiert, nur ein Es-könnte-sein, kann ich aber keine Antwort auf das geben, was ich getan habe. Wenn man mir vorwirft, daß irgendwo jemand sterben könnte, weil ich den Ritus nicht eingehalten habe, wird mein schlechtes Gewissen mit konkreter Schuld verknüpft.
Archaische Gesellschaften schützen sich vor Bedrohungen ihrer Stabilität durch das Tabu, also das Verbot von Handlungen um Komplexität zu vermindern. In einer Welt, die bedrohlich und komplex genug ist, ist diese Reduktion eine Überlebensstrategie.
Spätestens seit der Aufklärung versuchen wir bewußt Komplexität zu verstehen, sie nicht zu negieren und zu tabuisieren. Abstandsriten, wie sie derzeit praktiziert werden, sind eine Form des Tabus. Für Menschen, die sich „in jenem stillen Zwiegespräch zwischen mir und meinem Selbst“ (Hannah Arendt) befinden, sei es, ob Gott dabei eine Rolle spielt oder nicht, ist die Verknüpfung von Tabu und Schuld eine Kränkung.
Plötzlich merke ich, daß ich nicht per se frei bin, sondern abhängig von den Grundrechten einer freien Gesellschaft. Wenn ich so massiv und plötzlich per Verordnung meines aus dem Gewissen ableitbaren Handelns beraubt werden soll, damit Tod verhindert wird, führt dies zu einer Verminderung der Handlungsfähigkeit. Unbeweglichkeit aber verhindert Möglichkeiten, Möglichkeiten die an anderer Stelle gebraucht werden. Das Geheimnis einer freien Gesellschaft ist, daß sie sich selbst hilft, wie ein Organismus, der nur die nötigsten Regeln braucht.

Das Problem

Wir befinden uns im Moment in einer Situation, in der das Problem nicht zur Lösung passt. Die erhoffte Wirkung trifft nicht ein, die Lösung ist eine, in die sich die Anleitung zum Unglücklichsein geschrieben hat.
Es geht offensichtlich nicht um das allgemeine Wohl. Dazu würde die Analyse des Unwohls gehören, nämlich das richtige Problem zu benennen. Wo verbreitet sich das Virus und wie groß ist eigentlich die Gefahr, wird aber nicht gefragt. Stattdessen definiert die Lösung das Problem: Alle tragen überall Masken, also verbreiten alle überall das Virus. Man ist erstaunlich unfrei, wenn man sich immer erst fragt, wie die Sache ausgeht.

Freiheit und Willkür

Daß Freiheit enttäuschend sein kann, schafft den Wunsch nach Regeln, einer Unfreiheit, in deren Schatten das Bedürfnis nach Sicherheit als Freiheit empfunden werden kann. Die Durchsetzung des Willens der einen gegen die Freiheit anderer ist Zwang. Die einen nehmen sich die Freiheit, Zwang auszuüben, die anderen haben ein Bedürfnis nach Zwang und die dritten werden gezwungen. Verändert der Zwang seine Richtung, nicht nach dauerhaften Regeln, sondern wie es gerade paßt, ist das Willkür. Die Willkür richtet sich aber auch gegen die, die sich eben noch ihres Willens zur Unfreiheit sicher waren. Willkür und Unfreiheit schaffen deshalb keine Sicherheit, sondern immer mehr Unsicherheit, die ja gerade mit der Abschaffung der Freiheit beseitigt werden sollte. Welche Regeln morgen gelten, weiß keiner.
Ich fühle mich sicher, wenn ich selbst entscheiden kann. In der derzeitigen Unfreiheit fühle ich mich unsicher, weil ich nicht weiß, was gilt. Ich muss daher den Entscheidern vorwerfen, daß sie dem Unsicherheitsgefühl nachgegeben und damit die Willkür mitverursacht haben. Es geschah nicht ohne Einverständis aus und in die Situation der Unsicherheit. Wenn sich aber die Regierenden als die einer freiheitlichen Demokratie verstehen, ist es ihre Pflicht, darauf zu achten, nicht in die Falle von Unfreiheit und Willkür zu geraten.
Vor einem Jahr hat eine Mehrheit gewählt, sich zu unterwerfen, die Regierenden dazu aufgefordert, diese Maßnahmen zu vollziehen. Aber jetzt sieht man sich in einer Zwangsjacke, die man so nicht wollte. Selbst der treueste Bejaher aller Maßnahmen sieht ihre Unstimmigkeiten in ihrer Willkür. Scheinbar rationale Maßnahmen-Muster zeigen immer deutlicher ihren Illusionscharakter, je mehr sie durch ein hektisches Hin-und-Her bestimmt werden. Das nachverordnende Vorgehen gegen die kleinen Freiheiten, die sich im Schatten der Unfreiheit herausgenommen werden, führt dazu, daß niemand mehr weiß, was richtig und falsch ist.
Die möglichen Folgen der Willkür sind vorhersehbar: Jeder macht, was er will, aus Verzweiflung oder Trotz. Wäre es nicht von Anfang an der Weg der Freiheit gewesen, daß jeder frei entscheidet aus eigenem Ermessen und eigener Verantwortung?

Motivationen für ein Europa

Die französische geht auf Napoleon und Louis XIV zurück, ein Stück Zwang, ein Stück Universelles, etwas Glanz.
Die österreichische Motivation geht auf die (zu) späte Erkenntnis zurück, daß Kakanien als Sammelbecken kleiner Völker unter einer Krone nicht so schlecht war, seine Auflösung mehr Ungemach in die Welt gebracht hat, als seine Reform es je hätte getan haben können. Die Erfahrung der Schutzlosigkeit kleiner Völker als das eigentliche Motiv.
Die deutsche Motivation ist, Macht zu offenbaren, in dem sie versteckt wird. Ohnmächtig zu wirken und dabei zu glänzen, was als Generösität bei Dritten ankommt, erscheint den kleinen Völkern wie eine Drohung. Dabei war es doch gutgemeint.
Nicht vergessen werden sollte die amerikanische Motivation, die als Bedrohung oder Beherrschung angesehen wird, aber nichts weiter ist, als die Müdigkeit nach dem letzten großen Krieg. Ein System mit zu schaffen, dem man nicht mehr opfern muß.

Was, wenn die Motivation verängstigter Hypochonder, unter der Hand der Politik Schutz zu suchen, übergänge auf die von Staaten unter dem Dach Europas, wie stabil das auch immer sei.
Als wäre ein europäischer Thron schon errichtet, als fehle nur noch ein Napoleon, der auf schwankende Statisten folgte.

Indizien & Kaiserreiche

Die Indizienkette eines hamburger Professors über die Herkunft eines Virus’ aus einem Labor in China und die Reaktionen darauf, als hätte es sich um eine biologische Waffe handeln können.
Israel, seit seiner Gründung in Existenznot, reagiert, als handele es sich um eine militärische Bedrohung, sperrt nach außen zu und innen ein. Die quantitativ erfolgreiche Impfkampagne kann als eine Form der Landesverteidigung gesehen werden.
Der amerikanische Präsident schickte vor einem Jahr zwei Lazarettschiffe in die größten Küstenstädte des Landes, war aber zusehends weniger von der Gefährlichkeit des Virus’ überzeugt.
Europa verspätete sich etwas, allein Schweden blieb neutral.
Als Angehöriger einer deutschsprachigen Minderheit mit Diktaturhintergrund reagiert mein Immunsystem auf viele kleine Totalitarismen, sieht sie aber immer noch als Einzelfälle.
Aber doch auch einen Kriegsmodus, der keine Parteien mehr kennt. Atavistische Mechanismen, wie beim Ausbruch des Weltkriegs 1914.
In seiner Folge entstanden kommunistische und nationalistische Diktaturen. Ebenso wie neue Demokratien entstanden, bestehende Demokratien Ständewahlrechte abschafften, one man one vote auch fortan für Frauen galt.
Ein anderes Produkt des Weltkriegs Eins ist der Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Dieser Josef Schwejk kommt bei Kriegsausbruch in die Situation, daß alles was er tut falsch verstanden wird, er sich um Kopf und Kragen redet, den Beweis erbringt, daß in dieser Situation nichts richtig ist, außer Klappe halten und machen was gesagt wird.
Für Österreich ging das nicht gut aus.
Schwejk macht fortan konsequent, was ihm gesagt wird, der Leser beobachtet ihn bei der Übertreibung und dankt dafür, sich nicht in solcher Situationen zu befinden.
Neulich sah ich ein Photo, wo eine Frau in der U-Bahn ihre hellblaue Maske nicht nur über Mund und Nase, sondern auch über die Augen gezogen hatte.
Vielleicht wollte sie nur schlafend himmelblau träumen. Vielleicht aber ist sie eine Nachfahrin von Josef Schwejk.
Für ihre Gedanken gäbe ich ein halbes verlorengegangenes Kaiserreich.