ist immer weniger privat, der (Über)Griff, die Geilheit, mit der manche nach dem Vorhang greifen, auch von Nachbar zu Nachbar, mit der Begründung daß es keinen Ort geben dürfe, wo Regeln nicht gelten.
Es ist das Produkt einer Abgrenzung des Bürgers vom Adel. In dessen Sphäre gab es kein privat, Dienstboten wußten alles und der Herr konnte alles über seinen Knecht wissen, wenn er es denn wollte. Ein Geheimnis blieb im Dorf nur eines, wenn es keinem erzählt wurde. Bauern schliefen in einem Bett, steckten unter einer Decke, die Kammern der Adligen waren oft nicht soweit voneinander entfernt. Das Privileg, mehr Raum zur Verfügung zu haben, wurde durch das Personal stumm durchschritten. Manches höhere Geheimnis sicherte die Sprachkammer des Französischen.
Die Stadt und ihre nachts verschlossenen Läden, ihre wachsenden Dschungel, Abgrenzungen und Differenzierungen lassen das Geheime, nämlich das im Heim Verborgene Netze aufspannen. Auch im Bürgertum gibt es Dienstboten und Dienstmädchen, die von der Herrschaft schwanger werden.
Das Private ist der Ort der einblicksfreien Zone, der Privatier, der das Privileg der unabhängigen Zurückgezogenheit genießt.
Das Private wird ein Massengut der wachsenden Städte. Man staunt, wieviel Privates der Nationalsozialismus gestattete – die deutsche Baracke als Ort, wo es aufgehoben wurde, beim Reichsarbeitsdienst, bei der Wehrmacht. Das Konzentrationslager, der Ort der Vernichtung des Privaten.
Die kommunistischen Gesellschaften leben von der Denunziation, der Denunziation der Wirklichkeit, der Denunziation des Privat-Eigenen und der Denunziation derer, für die die Wirklichkeit wirklich ist.
Das Private ist ein Raum, der dem Einzelnen gehört. Hatten wir diesen Zustand, diesen Indikator für allgemeinen Wohlstand nicht unlängst erreicht? Die Unzufriedenheit des Einzelnen mit sich selbst wächst dort, wo das Private zum Ort wird, wo der Einzelne verloren geht. Es ist eine zunehmende Lust zu beobachten, die privaten Orte zu zerstören, wo man das Gefühl hat, daß die dort Lebenden glücklich sein könnten.
Das Stille, welches von anderen nichts anderes begehrt, als das für seine Existenz notwendige. Es ist die Voraussetzung für das So-Sein eines jeden Menschen.
Es drohen ihm die Aktivisten, die an die Tür hämmern; es drohen die Neugierigen, die ihr So-Sein nicht kennen oder Angst haben es zu verlieren; es droht ein Sog von Außen, in dem man sich verliert, wenn man ihm nachgibt.
Das Vornehme ist nach Nietzsche das, was sich über diejenigen wundert, die sich gegenseitig beäugen. Es ist das, was der Pöbel in den Dreck ziehen möchte, sodaß sich heutzutage niemand mehr traut, vornehm zu sein. Es ist die Sonderheit des Privaten, das aus sich selbst heraus die Genügsamkeit einer Insel besitzt und das Privileg, das es niemand bedroht.
Wenn es Reichtum für Alle geben soll, kann es ihn nur insofern geben, daß es jedem möglich ist, vornehm, privat und so zu sein. Jede soziale Bewegung, die das nicht schafft, scheitert. Die Bewegung kann nur eine Einzelner sein, jeder sein eigener Privatier. Insofern nimmt sie ihre Kraft nicht aus dem Wegnehmen von anderen sondern aus gewonnenem Reichtum, den jeder selbst schafft.
Wenn soziale Bewegungen an der Grenze stehen, wo sie wissen, daß sie unbedingt scheitern werden, werden sie alles mit hinunterziehen, was nicht zu scheitern droht, nämlich was sich Menschen aus eigener Kraft erarbeitet haben und genießen. Insofern ist der Schutz des Privaten, des Vornehmen nötig, damit es Räume gibt, die nach den Zerstörungen des Pöbels die innere Kraft und Ruhe zum Wiederaufbau haben werden.
Strasbourg, La Gare
Eine kleine Frau mit Riesenrucksack geht lächelnd neben ihrem Freund, die große Last mühelos tragend. Das Gewicht läßt sie leicht nach vorn gebeugt gehen.
Aber der Mensch mit Last auf den Schultern bleibt ein zweifüßiger. Der mit dem Rollkoffer, geht scheinbar leichter, hat aber zu den zwei Füßen noch vier Rollen bekommen.
Scheinbar schiebt er sich vorwärts, dabei rollt nur die Erde unter ihm weg und er bleibt immer gleich. Es braucht Maschinen, Hindernisse zu überwinden, welche die Erde den Rollen entgegen schiebt.
Wer sein Leben auf seinem Rücken trägt, kann jeden Berg überwinden. Es bleibt eine Frage des Verhältnisses von Kraft und Bewegung in der Zeit.
Wird die Last zu groß, muß der Mensch rasten. Allein er bleibt verführbar, seiner Hand unvertraut zu werden und sie an Rollen zu binden…
Langsamer knirschender Morgen
war der Titel eines Bandes Gedichte von Volker Braun. Als ich ihn das erste Mal las (1987 in der ddr) habe ich an einen Wintermorgen gedacht. Man möchte nicht aufstehen, die Wohnung ist noch kalt, ungeheizt, der Weg zur Arbeit führt durch Straßen, die von Kohlenrauch durchzogen sind. Es ist Frost, der Schnee alt und schmutzig, wenn man über die Straße geht, knirscht das Steinstreu unter den Füßen auf den Katzenköpfen. LKWs treiben trübe Funzeln Licht vor sich her, dazwischen quälen sich knatternde Zweitakter und Mopeds, Mütter mit Kindern auf dem Fahrrad durch die fahle Dunkelheit…
Alle auf dem Weg in eine Maschine, die mehr Lärm & Dreck macht, als daß sie Lebensnotwendiges produziert. Nein, der Weg ist schon die Maschine, schon das Aufstehen, schon das Schlafen war es. Der Morgen verspricht nichts als Knirschen. Langsam heißt, es ist Leben, daß sich knirschend fügt.
Das es mir einfällt, nach 35 Jahren und zwei Wochen Kälte und der Erfahrung, daß eine Maschine auch gut funktionieren kann. Nun fehlen Strom, Gas und riesige Aquarien platzen aus unerfindlichen Gründen und gießen ihr Wasser in Getriebe.
Kriegszeit
Die letzten 77 Jahre lebten wir hier ohne Krieg. Er ist mit fliegenden Fahnen zurückgekehrt, wie er im Anmarsch zu sehen war, ist er ebenso als das Offensichtliche von den meisten ignoriert worden.
Ist er da, spaltet er Freunde & Feinde, auch außerhalb der Kampfzone. Daß wir so lange lebten, ohne ihn ernst zu nehmen, rächt sich, wir müssen nun im Maßstab des Krieges lernen, ihn zu vermeiden.
Neal Stephenson läßt in Cryptonomicon seinen Helden (und Wiedergänger in weiteren Romanen) Enoch Root über zwei Wege des Kriegers erzählen.
Den des Mars als Haudrauf: brutal, gnadenlos, dumm, schlau, grob, eitel, plump, die Landplage des Landsknechtes mit Allem, was dazugehört.
Der Weg der Athene: klug & weise, defensiv und grausam, wo es nötig ist. Schild & Lanze – Verteidigung & Angriff, die Eule die denkt. Immerhin die Eitelkeit, sich dem Urteil des Paris zu stellen. Immerhin listenreich genug, Odysseus zu schützen.
Jeder Krieger folgt mal dem einen oder der anderen, nur eben mehr oder weniger.
Rußland auf dem Weg des Mars, den sich die Ukraine nicht leisten kann. Sie verdankt ihre Erfolge Athene.
Aus der Traumwelt
Mit einem Affen könnte ich jederzeit kommunizieren. Voraussetzung wäre, es fände auf meinem Territorium statt und er würde mich als seinen Herrn & Meister akzeptieren wie ein Kind.
Shiwago 3 – Position & Zerstörung
Es gibt die Sicht des Autors, die Sichten seiner Figuren. Die Blickweisen sind unterschiedlich, die Weite: manchmal scheinen sie Püppchen einer Matrjoschka zu sein, nur die äußerste sieht nach außen.
Wedenjapin ist der Onkel Juri Shiwagos. Eine Figur, deren Äußerungen darauf hindeuten, daß sie sich in einem Prozeß der ständigen Auseinandersetzung befindet.
Seine Auseinandersetzung mit den Positionen des alten Rußland; der Kakophonie aus Widersprüchlichkeiten zeigen einen Denker in eigener Sache. Die ihn umgebenden Meinungen, die er alle diskutierlich vorfindet, berühren ihn, jedoch nicht soweit, als daß er nicht in seinem Denken seine Sache findet.
…den Menschen hat eben nicht der Knüppel über das Tier erhoben und vorangebracht, sondern die Musik: die Unsterblichkeit der waffenlosen Wahrheit, die Anziehungskraft des Beispiels.
…kam der leichtfüßige und von Glanz umhüllte, betont menschliche, absichtlich provinzielle Galiläer, und von diesem Moment an hörten Völker und Götter auf zu sein, und es begann der Mensch, der Mensch als Zimmermann, der Mensch als Pflüger…
Auf Umstände, die ich als veränderbar empfinde, kann ich angesichts dieser Zitate nur mit unendlicher Geduld reagieren, nämlich das Menschliche in jeder Faser des Lebens zu sehen. (Insofern ist die Fixierung auf die Natur und die Erde ein reaktionäres Zurückweichen in römische oder gar archaische Zustände)
Aber wenn die Geduld aufgebraucht ist:
…daß eine teilweise Erneuerung des Alten nichts taugt, es bedarf eines grundlegenden Umbruchs. Der zieht vielleicht einen Einsturz des Gebäudes nach sich. Na und?
Wedenjapins Christentum ohne Kirche wankt und er macht sich mit der (berechtigten!) Ungeduld des Volkes gemein. Darin liegt gleichzeitig Verachtung, denn Geduld gesteht er dem Volk geistig nicht zu.
Also Zerstören und neu Aufbauen, den Menschen neu Gestalten (Der Intellektuelle sei Ingenieur der Seelen!). Am Ende ist es ein Krieg gegen die Wirklichkeit. Der Intellektuelle, der sich mit einer Sache gemein macht, die nicht mehr die eigene ist.
Wedenjapin auf dem Weg der Menschenbildung: möglicherweise ist er der Übernächste, der aussortiert wird.
rein politisch
»Wenn ich so viel Geld hätte«, sagte Joachim Ringelnatz, »und so viel Macht, dass ich alles auf der Welt ändern könnte, dann ließe ich alles so, wie es ist.«
Der kurze Versuch einer persönlichen politischen Beschreibung. Zuerst die Reizbegriffe.
Migration/Asylrecht
Die Integrität einer Kultur kann durch Migration zerstört werden, wenn diese ein Maß überschreitet. Deshalb ist jede Kultur an Migration nicht interessiert, es sei denn, diese behebt Mängel (Deutsche in Polen, Flamen in Deutschland, Wolgadeutsche in Rußland, Sachsen im Banat, Niederländer, Böhmen, Franzosen in Preussen).
Fremde die in Not sind aufzunehmen, ist ein Gebot. Jedoch gilt auch das Prinzip der Nachbarschaftlichkeit. Ukrainer aufzunehmen liegt näher, als Syrer oder Afghanen.
Es geht immer um Maß und Integration und daß diese eine in die Integrität der Kultur ist. Eine Bringschuld der Migranten.
Ein Land kann nicht die Welt retten.
Eine unkontrollierte Aufnahme von Wohlstandsflüchtlingen, die in ein Sozialsystem migrieren, verbietet sich in zweierlei Hinsicht. Es überfordert das Aufnahmeland und entwürdigt die Migranten auf Generationen zu Bittstellern.
Eine kontrollierte Aufnahme von Migranten, die demographische und produktive Lücken füllen, ist rational und wäre eine Fortsetzung preußischer Migrationspolitik.
Ökologie/Klima/Energie
Die Zerstörungen der Natur durch westliche Industrie mit den Mitteln ebenderselben zu heilen, ist die eigentliche Aufgabe, derzeit und zukünftig. Eine Zerstörung westlicher Industrie im Namen von Natur und Erde ist eine schlechte Option, da durch das mögliche Fehlen von Technologien die Möglichkeiten der Bewältigung sinken. Es muß dieselbe Anzahl von Menschen weiter ernährt werden, was ohne moderne Technologien nicht geht.
Ich halte die Klimadiskussion in der derzeitigen Art & Weise für destruktiv, im Kern für industrie- und technologiefeindlich. Ein Ausgleich in der Forschung und Meinungsbildung jenseits von Ideologie ist nötig. Gebildete und kompetente Erwachsene sollten sich nicht mit erregten Kindern gleichmachen.
Energiepolitik sollte so gestaltet werden, daß sie die Volkswirtschaft nicht angreift.
Wirtschaft
Soviel wie möglich Privatwirtschaft, sowenig wie möglich Staatswirtschaft. Wirtschaft soll auf privatem Eigentum, Innovation und freiem Markt beruhen. Die Regeln dafür werden demokratisch ermittelt und sollten so einfach wie möglich sein. Ihre Wirksamkeit sollte ständig ermittelt werden. Konkurrenz erzwingt Innovation & Ökonomie, diese den sparsamen Umgang mit Ressourcen. Eine Entwicklung, seit es Industrie gibt. Eigentlich wird sie automatisch energieeffizienter und weniger umweltschädlich.
Daraus ergibt sich eine Ungleichheit, die aus Zufall, Glück und Können entsteht. Ungleichheit ist die Voraussetzung dafür, daß es einer Gesellschaft im Ganzen gut geht. Nur ein Unternehmer, der erfolgreich sein darf und damit ungleich zu einem ist, der nichts unternimmt, schafft Arbeitsplätze.
Recht
Das Recht sollte so einfach wie möglich sein. Ein sich fraktal ausdifferenzierendes Recht, daß möglichst jedem Ding, welches der Fall sein kann, gerecht wird, ist unwirksam.
Das Recht sollte von jedem verstanden werden können, der sich darum bemüht.
Gerechtigkeit kann es nur in dem Sinne geben, das das Recht für alle gleich gilt. Das es Ungleichheit gibt, kann nicht vermieden werden.
Ein Anderes ist, wenn das Recht von einer Monothematik zur Seite gedrängt werden kann, wie es in den letzten 2 1/2 Jahren der Fall war. Teile bestehenden Rechts wurden zwar nicht abgeschafft, aber in eine Untätigkeit hinein suspendiert. Das Ergebnis waren archaische Rechtsverhältnisse: Eine Mehrheit dominiert eine Minderheit und handelt nach den Prinzipien von Bann & Rache.
Europa
Ein demokratisches Europa verschiedener Sprachen ist mehr Last, als die Entlastung als die es gedacht gewesen zu sein schien. Historisch gewachsen ist die Demokratie im Nationalstaat, ihre Über-Führung auf/nach Europa ist ein Fehlkonstrukt, die benötigte Zeit, in Gang gesetzte Prozesse zu überprüfen und zu korrigieren, ist viel zu lang und hat zu viel institutionelle Behäbigkeit. Als assoziative Wertegemeinschaft, als Wirtschafts- und Ausgleichsgemeinschaft hat Europa nur eine Chance, wenn es ein Europa der Nationen, in denen Findungsprozesse sprachlich und institutionell überschaubar sind, bleibt.
Nation/Patriotismus
Zu wünschen und zu handeln, daß es meinem Land gut geht, ist Patriotismus. Eine Übertragung familiärer Gefühle auf die Nation, der ich entstamme. Dazu gehört, die selbst und durch Bildung erlebte Geschichte intellektuell zu integrieren. Ergriffenheit und Kritik sind gleichermaßen erlaubt. Auch hier gilt Maß: Eine Nation, in der kritisches Bewußtsein zwanghaft wird, handelt suizidal; ebenso verbietet sich Selbstüberhebung.
Dazu gehört die Fähigkeit zur Verteidigung. Si vis pacem para bellum, Eine wehrhafte Demokratie ist innerlich in der Auseinandersetzung und verteidigungsbereit nach außen.
Diverses
Jeder soll nach seiner Fasson selig sein und werden. Das gilt überall. Aber keiner soll mit seinem (Un)Glück andere dominieren oder gar zwingen.
Das für sein eigenes Wohl und Wehe verantwortliche Individuum ist ein Produkt des westlichen Christentums und gibt es so sonst nicht woanders auf der Welt. Es entstand aus der alleinigen Verantwortung des Einzelnen vor Gott und Niemandem sonst.
Toleranz ist die Notwendigkeit und Zulässigkeit der Abweichung. Keine Toleranz heißt Unbeweglichkeit, zuviel Toleranz Auseinanderbrechen. Toleranz ist endlich: aber es geht nicht ohne.
Wenn neue Bedrohungen auftauchen, ist zunächst jeder für sich selbst verantwortlich. Neuen Herausforderungen stellt man sich nicht durch blinde Maßnahmen, deren Wirkung nicht mal konsequent überprüft wird. Im Gegenteil, man (die Forderung an das Man heißt eigentlich an Alle, ist aber nur wirksam im Einzelnen selbst, dem der sich fordert) fördert eine Streitkultur, erzeugt eine Tiefe der Haltungen zu einer möglichen Bedrohung und gibt durch Offenheit des Streites Einzelnen die Möglichkeit einer Revision. Daraus ergibt sich ein Schwebezustand, in dem schneller erkannt werden kann, welches Maß eine Bedrohung ausmacht.
Ein Krieg erfordert Anderes als ein Virus. Die Möglichkeit einer existentiellen Bedrohung, nämlich die Angst vor ihr, kann zu einer Substitution der Bewertung führen. Die Angst vor einem möglichen Krieg, vor Tod, vor Wohlstandsverlust, vor Kälte – die Summierung diffuser (nicht konkreter!) Ängste in eine Weltuntergangsangst (Klima, CO2), kann dazu führen, daß sich Ängste an einer möglichen Bedrohung kristallisieren (Virus) und hier eine Bewältigung simuliert wird. Die Simulation ist neurotisch, da sie vor Erkenntnis schützt und etwas bekämpft, was so nicht existiert.
Politiker sind von Irrtümern, Ängsten, Massenpsychosen ebenso betroffen, wie Alle. Es ist nicht zu verhindern, aber es gilt für Alle die Verantwortung für einen offenen Diskurs. Nur so kann aus dem Dumpfen, aus dem Un- und Vorbewußten Bewußtsein entstehen.
Fazit
Die politische Konstitution eines Menschen, macht ihn niemals allein & ganz aus. Der Einzelne ist viel mehr als das und Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, Horatio…
Warum Shiwago?
Auf einer sehr heftigen Diskussion über Kriegsverbrechen der Russen in der Ukraine, wo mir Gegenüber vorwarfen, auf westliche Propaganda reingefallen zu sein und ich dem entgegnete, daß es in Rußland durchaus eine Kultur der Gewalt gäbe…
Zuerst versuchte ich es mit Gogol, “Die toten Seelen”, gab aber bald wieder auf. Die Welt dort ist russisch aber eben auch stark mit der deutschen Romantik verwandt, mit Hoffmann, Fouque und Contessa.
Man reist mit der Postkutsche und das letzte Stück zum Herrenhaus von X. mit der Equipage des Herrn, wenn die Wege schlecht sind, mit dem Ochsenkarren.
Bei Pasternak reist man mit der Eisenbahn, jedoch das letzte Stück wie bei Gogol. Hat die Welt von Dr. Shiwago, die erzählte von 1905 bis 1929 (der Roman endet 1943), etwas mit dem Rußland von heute zu tun? Der mögliche Zusammenbruch der russischen Armeen heute, mit dem von 1917; der Gedanke daran haben mich spontan zu Pasternak greifen lassen. Und die Überraschungen beim Lesen bestätigen meine Wahl. Es gibt das Gewalttätige und das Zarte in dem Nebeneinander einer Kultur, das dem Untergang nahe ebenso wie das nach Erlösung suchende, das Feine und das Grobe. Das Scheidende geht nicht nur durch Klassen und Ränge, ebenso gehen die Risse durch Einzelne.
Pasternak hat den Roman nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben, daß es mit Rußland und seinem Imperium so kommen mußte, ergibt sich übehaupt nicht aus den ersten fünfzig Seiten. Alles ist möglich, Chaos und Vernunft, Krieg und Heilung, Fortschritt und Niedergang. Die Risse gehen von damals bis heute, aber sie sehen anders aus, nach ihrem Weg durch die Zeit. Ich suche Verbindungen und Assoziationen und will versuchen, die Denunziation zu vermeiden.
Der zweite Teilnehmer des jetzigen Krieges, die Ukraine kommt in dem Roman nur am Rande vor, als Territorium Russlands, als das es jetzt von diesem beansprucht wird.
Die Stelle, die im Roman für mich leer ist – weil ich sie suche – das was jetzt der Schauplatz des Krieges ist.
Shiwago 2
Eine Demonstrationn auf der es um Alles geht: ums Essen, nicht mehr gedemütigt zu werden, sich zu zeigen – dabei zu sein. Zuerst konnten die Organisatoren sich nicht einigen, darauf entstand die Demonstration spontan, die abgesprungenen Organisatoren sprangen wieder auf. Die klugen Reden gingen unter, die lauten, schreienden wurden stimmungsvoll schreiend begleitet: eine Liturgie der Straße.
Dann kamen die Dragoner, die Köpfe spalteten und voller Verachtung & Brutalität in die Menge ritten.
Eine ältere Dame: “Verfluchte Totschläger, verdammte Mörder! Den Menschen zur Freude hat der Zar die Freiheit gegeben, und das können sie nicht ertragen.”
Wieviel Irrtümer in zwei Sätzen. Die Hoffnung auf den Zaren. Wenn das der Führer wüßte. Zu glauben, daß wenn man schon den Mut aufbietet zu demonstrieren, daß das erhört wird, daß es gewissermaßen eine Genugtuung, eine Stunde der Wahrheit als Reaktion auf den kollektiven Zorn gibt. Dann: Reformen sind keine Freiheit, der Zar gibt keine Freiheit: die nimmt man sich. Dies eine Lehre für heute: man muß keine sinnlosen Maßnahmen mitmachen.
Man sucht sich die Überfigur, die gut ist und stellt sie gegen die Bösen. Beide zusammen machen Teile eines Regimes aus, daß die Dame sie auseinanderdividiert, um der Güte des Zaren willen… Das wiederholt sich bis heute, der Mensch nimmt sich nicht seine Freiheit, sondern braucht eine Figur, die sie ihm gibt. Das trifft auch auf politische/geistige Führer/Gefolgschaften zu.
Weshalb diese Freiheit auch keine Freude ist, zumindest keine, die lang anhält. Das ist die Dialektik der Freiheit: Solange man sie sich nicht nimmt, ist was gegeben wird zu wenig.
Der eigene Zustand der Freiheit darüber hinaus; nur wenige können sagen: Ich bin frei.
Doktor Shiwago: Wiederlesen nach 35 Jahren
Zuerst mal die Übersetzung von Thomas Reschke, die die Modernität und Gegenwärtigkeit des Textes ins Deutsche bringt. Nach 30 Seiten folgendes Fazit. Die Einführung der Helden zeigt labile bis destruktive Familienverhältnisse, der Vater Shiwagos ein Trinker und Abenteurer, die Mutter an Schwindsucht gestorben. Der Vater einer anderen Figur verbannt nach Sibirien, die Mutter eine Adlige, die das Abenteuer Revolution sucht.
Während einer Fahrt auf ein Landgut kommentiert der Kutscher: “Das Volk ist von der Leine….Gib den Mushiks Freiheit, dann murksen sie sich gegenseitig ab…”
Neben dem Landgut hält ein Zug, ein Selbstmörder hat sich während der Fahrt hinausgestürzt.
Gleichzeitig Versuche von geistiger Auseinandersetzung über die Verhältnisse, mit Distanz durchaus über sie hinaus. Dazu der Kommentar des Autors: “Alle Bewegungen auf der Welt sind im einzelnen nüchtern berechnet, in ihrer Gesamtheit aber unbewußt trunken im Strom des Lebens, der sie vereint. Die Menschen rackern sich ab, in Bewegung gesetzt vom Mechanismus ihrer eigenen Sorgen. Aber die Mechanismen würden nicht funktioniert haben, wäre nicht ihr Hauptregulator eine tief in ihnen sitzende Sorglosigkeit…”