Seit etwas mehr als einem Jahr versuche ich mich hier an dem, was ich Den Wahnsinn nenne.
Ich beobachte einen gemeinen Trick: Ich verenge den Diskursraum, vergrößere die Menge derer, die nicht darin sind und stelle sie vor die Wahl: Beitreten oder Nicht-Dazu-Gehören. Eben noch hatten wir einen Diskursraum Bunt, nun gelten nur noch die Farben Rot, Grün und Gelb. Alle anderen Farben sind ausgeschlossen. Lila, Schwarz, Ultraviolett oder Blau gibt es nicht mehr, sind ausgeschlossen. Die farblose Masse hat sich GrünRotGelb anzuschließen, wenn nicht, haben sie keine Farbe.
Aber der Bedarf an Diskurs steigt, wenn er beschränkt wird. Und: Wieviel Grüntöne sind zulässig und ab wann ist Blau Blau und nicht mehr Grün-Blau. Darf ich nicht mehr Lila sagen, sage ich Blassrot. Es müssen die zugelassenen Farben immer reiner werden oder künstlich variiert werden. Die Menge derer, die auf anderen Farben beharrt in quasi reaktionärer Renitenz wird bei mehr Reinheit größer, bei mehr künstlicher Variation wächst das Nebelreich des Opportunismus. Und das der frivolen Scherzbolde.
Die Schwierigkeit, sich aus diesem Diskursdilemma herauszuhalten, wird immer größer. Der Wahnsinn klebt an allen Enden. Über den Müll vor der eigenen Haustür zu sprechen, könnte Lila, Blau oder Orange sein, lieber sprechen wir über den auf den Weltmeeren. Den Müll vor meiner Tür hätte ja ein Türke, EU-Tourist oder gar eine Kämpferin der AntiFarblos fallengelassen haben. Sich Links oder Rechts der Diskursgrenze zu verorten wird schwer und ist eine Frage des Standpunktes. Darf ich heute noch Blassrot sagen oder ist Blassrot das neue Farblos? Haben Schwarze die Frechheit Schwarz zu behaupten oder Blaue Blau, wirft man ihnen aus der selbsterklärten neuen Mitte von RotGrünGelb vor, sie würden damit den Raum des sagbaren Farblosen unzulässig erweitern wollen.
Bis jetzt hat sich meine Hoffnung, daß sich der Wahnsinn langsam in einen Diskurs der Unterschiede auflöse nicht erfüllt. Im Gegenteil, neue Farbelehre und alte Farbenlehre überlagern sich und bilden Interferenzen.
Das Gesicht verlieren zu dürfen, gehört zu den Kulturleistungen des Westens. Fehler machen zu können, kann Ansporn oder Grund zur Faulheit sein. Doppelter Standard liegt unter den zu hohen Trauben oder der Versuch, etwas zu wiederholen, bis es gelingt.
Das Gesicht nicht zu verlieren im mühsamen Aufrechthalten der Lüge: gerade eben noch Blau, dann Grün, nun, wo ist man denn jetzt, bildet bizarre Interferenzen, die im Sonnenlicht schillern wie müde bewegte Ölteppiche.
Wenn von der Lüge die Rede ist, was ist dann Wahrheit?