Mehrheit und Recht

Daß ein Verbrechen möglich wird, gar rechtmäßig, ergibt sich aus dem, was geschah und weil es geschah, rechtmäßig war. Aus dem Stand findet Babi Jar nicht statt.

Diktatur wird in Stufen durch-ge-setzt, wenn sie nicht plötzlich mit der Axt ins Haus fallen kann.
Es übernimmt eine Gruppe (Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Walter Ulbricht), möglicherweise freie Wahlen, dann kleine inszenierte Putsche von möglichen Feinden (Röhm, CSR 1948, Erdogan 2016).

Aufrufe zur Mehrheit sollten mißtrauisch machen. Berlin war 1933 mehrheitlich nicht nationalsozialistisch, es mußte diese Mehrheit auf der Straße demonstriert werden.

Zu behaupten, man sei die Vielen oder Wir sind mehr. Es geht um die Einschüchterung der Indifferenten.

Auch die Beteiligung an Verbrechen geschieht stufenweise. Rechtens einerseits, andererseits das Denken des Möglichen unter der Realität der Machbarkeit. So gesehen ist auch Auschwitz Fortschritt. Rausch im Schwindel eines unendlichen Fallens auf einen Boden der scheinbar rechtmäßig ist. Kafka würde sagen, der Boden bestehe mehr aus Fallen, als aus Fels.
Der Hinweis auf eine unerschütterbar stehende Mehrheit zeigt auf vor Scham zurückweichenden Boden.

Die Behauptung des Individuellen, daß man Einzel und nicht Viel sei – es trägt die Gefahr, selbst als Einer mit anderen Einern zu anderen Vielen zu werden.

Nicht Viele zu sein, sich in jenem stillen Zwiegespräch zwischen mir und meinem Selbst zu befinden – Hannah Arendt – in sich verschieden, unterschiedlich zu sein.

Wer bei Wirsindmehr nicht draußen bleiben will, muß Absurdes schlucken. Etwa die Heiligkeit und Unschuld alles Fremden, analog zu Auferstehung und Unbeflecktheit oder AllahuAkbar.