Motivationen für ein Europa

Die französische geht auf Napoleon und Louis XIV zurück, ein Stück Zwang, ein Stück Universelles, etwas Glanz.
Die österreichische Motivation geht auf die (zu) späte Erkenntnis zurück, daß Kakanien als Sammelbecken kleiner Völker unter einer Krone nicht so schlecht war, seine Auflösung mehr Ungemach in die Welt gebracht hat, als seine Reform es je hätte getan haben können. Die Erfahrung der Schutzlosigkeit kleiner Völker als das eigentliche Motiv.
Die deutsche Motivation ist, Macht zu offenbaren, in dem sie versteckt wird. Ohnmächtig zu wirken und dabei zu glänzen, was als Generösität bei Dritten ankommt, erscheint den kleinen Völkern wie eine Drohung. Dabei war es doch gutgemeint.
Nicht vergessen werden sollte die amerikanische Motivation, die als Bedrohung oder Beherrschung angesehen wird, aber nichts weiter ist, als die Müdigkeit nach dem letzten großen Krieg. Ein System mit zu schaffen, dem man nicht mehr opfern muß.

Was, wenn die Motivation verängstigter Hypochonder, unter der Hand der Politik Schutz zu suchen, übergänge auf die von Staaten unter dem Dach Europas, wie stabil das auch immer sei.
Als wäre ein europäischer Thron schon errichtet, als fehle nur noch ein Napoleon, der auf schwankende Statisten folgte.

Indizien & Kaiserreiche

Die Indizienkette eines hamburger Professors über die Herkunft eines Virus’ aus einem Labor in China und die Reaktionen darauf, als hätte es sich um eine biologische Waffe handeln können.
Israel, seit seiner Gründung in Existenznot, reagiert, als handele es sich um eine militärische Bedrohung, sperrt nach außen zu und innen ein. Die quantitativ erfolgreiche Impfkampagne kann als eine Form der Landesverteidigung gesehen werden.
Der amerikanische Präsident schickte vor einem Jahr zwei Lazarettschiffe in die größten Küstenstädte des Landes, war aber zusehends weniger von der Gefährlichkeit des Virus’ überzeugt.
Europa verspätete sich etwas, allein Schweden blieb neutral.
Als Angehöriger einer deutschsprachigen Minderheit mit Diktaturhintergrund reagiert mein Immunsystem auf viele kleine Totalitarismen, sieht sie aber immer noch als Einzelfälle.
Aber doch auch einen Kriegsmodus, der keine Parteien mehr kennt. Atavistische Mechanismen, wie beim Ausbruch des Weltkriegs 1914.
In seiner Folge entstanden kommunistische und nationalistische Diktaturen. Ebenso wie neue Demokratien entstanden, bestehende Demokratien Ständewahlrechte abschafften, one man one vote auch fortan für Frauen galt.
Ein anderes Produkt des Weltkriegs Eins ist der Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Dieser Josef Schwejk kommt bei Kriegsausbruch in die Situation, daß alles was er tut falsch verstanden wird, er sich um Kopf und Kragen redet, den Beweis erbringt, daß in dieser Situation nichts richtig ist, außer Klappe halten und machen was gesagt wird.
Für Österreich ging das nicht gut aus.
Schwejk macht fortan konsequent, was ihm gesagt wird, der Leser beobachtet ihn bei der Übertreibung und dankt dafür, sich nicht in solcher Situationen zu befinden.
Neulich sah ich ein Photo, wo eine Frau in der U-Bahn ihre hellblaue Maske nicht nur über Mund und Nase, sondern auch über die Augen gezogen hatte.
Vielleicht wollte sie nur schlafend himmelblau träumen. Vielleicht aber ist sie eine Nachfahrin von Josef Schwejk.
Für ihre Gedanken gäbe ich ein halbes verlorengegangenes Kaiserreich.

Ohne

Seit es das menschliche Bewußtsein gibt, ist es in der Krise. Was es weiß, läßt sich nicht in eine handhabbare Logik zwingen. Das Ritual stellt sich vor die Komplexität der Kausalketten, die nicht nachvollziehbar sind. Wie eine Maske, ein Gesicht aus Holz, Porzellan, Plastik, bietet es Hilfe beim Erkennen von Bekanntem.
Es gibt Masken, die amorph sind, wie ein Gesicht ohne Mund, Augen, Nase – Dinge, an denen ich wiedererkenne. Das Unbekannte läßt sich nicht wiedererkennen. Wie lange braucht es, das es bekannt ist und wäre es nicht schön, sich dem Bekanntwerdenden so zu nähern wie einem Menschen ohne Maske?

Safe Spaces

Der geschützte Raum, indem keiner mein geistiges Sein in Frage stellt. Zuerst ist es das Individuum selbst, das sich keine unangenehmen Fragen stellt. Eine Blase sich konsensualistisch verhaltender Menschen. Die Erweiterung des Prinzips, sich selbst nicht unangenehm zu sein, auf eine Gruppe. Nicht daß es mir um die inFragestellung von Kooperation geht, allein zur Kooperation gehört die Diskussion, das Aushandeln von Bedingungen.
Konsensualalismus ist die Vermeidung von Dissenz und in der Folge die Ausklammerung von möglich auftauchenden Problemen verschiedener Meinung, sowie echter Probleme, die hätten angesprochen werden müssen.
Insofern ist der Safe Space ein mütterlich geschützter Raum, Erwachsensein heißt, ihm entwachsen zu sein.
In den modernen Gesellschaften differenzierter Produktion und Kommunikation ist es scheinbar möglich, in Safe Spaces zu leben, da der Austausch von Lebensnotwendigem mittelbar erfolgen kann.
Das Virus dringt in diese Safe Spaces wie eine dort indiskutable Meinung. Seine Unsichtbarkeit provoziert geradezu, das Modell intellektueller Segregation auf das der physischen zu übertragen. Nun kann endlich das falsche Verhalten sichtbar erkannt und eliminiert werden. Dabei geht es nicht nur um die Unsicherheit, die das Virus verursacht. Dem falschen Verhalten kann Alles zugeordnet werden, was im eigenen Safe Space als störend empfunden wird.
Warum nicht dauerhaft einen physischen Safe Space bilden. Kein Kontakt mit Menschen, die sich risikovoll verhalten, fürderhin und über Generationen hinweg.
Das geheimnisvolle Prinzip des Zufalls wird das nicht zulassen. Als Denkmodell aber doch.
Also eine von allen Risiken sich abschirmende Kaste, die mittelbar an der Produktivität einer Gesellschaft teil hat, aber sonst Kontaktvermeidung mit allem Risikovollen betreibt.
Wäre sie produktiv? Wo doch schon Try & Error Risiken beinhaltet?
Wie wäre ihre Resilienz?
Würde diese Kaste aussterben, wegen mangelnder Immunität?

Gerüstet!

Noch früh, im Dunkeln bevor es im Winter dämmert, ziehen wir in den Krieg. Es ist feucht und unsere Fahne der Überzeugung weht nicht, sodaß wir sie heftig schwenken müssen.
Als wäre die Bangigkeit Mut in diesem Krieg, der uns ständig gegen einen Feind vorrücken läßt, würden wir denn auf ihn treffen, würden wir uns wundern, daß wir so wenig entschlossen sind.
Also ermutigend schließen wir die Reihe zu den Nachbarn und halten uns fest, uns gegen den Feind zu werfen. Es erschöpft uns, daß wir uns abends betrinken, um uns morgens erneut als Krieger zu fühlen.
Wir können sagen, daß wir Krieger ohne Blut sind, kein fremdes und kein eigenes Blut, eine untergehakte Gemeinschaft.

Unteilbar

Menschen, die ihr Leben in die Hand nehmen oder es zumindest versuchen. Andere, die erwarten daß andere dies für sie tun. Eine Politik die glaubt sie hätte mehr Macht, würde sie die Erwartung derer erfüllen, die dies von ihr erwarten.
Es wird deutlich, wieweit Erwartung und Erwartungserfüllung auseinanderklaffend jeden Moment zu kollabieren scheinen.
Rufe nach Schuldigen, wenn sich Wünsche nicht erfüllen.
Öffentliche Medien zeigen das in einer Art Trance-Tanz. So unbewußt, wie weit von von einer bewußten Auseinandersetzung entfernt.
Eine allergische Reaktion auf ein Virus, in der die Möglichkeit des Todes zwanghaft überhöht und in einen Zwang für alle gezwungen wird. Die gebende Tugend der Solidarität in eine nehmende gezwungen.
Wer für sich entscheidet wird ausgeschieden.
Was ich wähnte zu besitzen, ein Vertrauen in die Zukunft, ist erschüttert.
Aber deshalb höre ich nicht auf, ein Individuum zu sein.

eingepackter Tod

Der Tod ist individuell.
Wird der Kranke in Folie eingepackt und stirbt darin (wie in dem Film Coronation von AiWeiWei), ist sein Tod dem der des Nächsten, der ebenso stirbt, gleich.
Was unter der Folie passiert, wissen wir nicht.
Ein Mann, der mit Krebs im Krankenhaus stirbt. Er bekommt Morphium. In einem Moment jedoch stemmt sich sein Leben gegen den Schmerz und die Droge, er springt aus dem Bett und flieht. Draußen erkältet er sich und stirbt an einer Lungenentzündung.
Den Tod zu verhindern, der unabwendbar ist.
Eine Maske zu tragen im öffentlichen Raum, den Tod zu verhindern. Die Folie der Maske. Die Folie, in der gestorben wird. Dazwischen ein Raum unausgesprochenen, individuellen Todes. Die Maske verhindert den Tod nicht, sie ist das Einverständnis mit dem allgemeinen Tod, der mich nicht betrifft.

Einschränkung

Auch eine, selbst wenn ich mich nicht beschränken lassen will: die des Themas. Nicht darüber zu reden ist eine, darüber zu reden eine, wenn das Thema so eine Herrschaft hat, eine über die Gedanken.

Desinfektion & Diktatur

In der DDR wurde manisch desinfiziert. Der Ausbruch einer Seuche oder Epidemie hätte möglicherweise den Bau einer Diktatur gefährdet, deren Schwäche darin lag, nicht immer zu wissen, wo die Schwächen sind.
Die Demokratie hat Möglichkeiten geschaffen, daß in ihr Wohlstand entsteht. Die Wahrung von Wohlstand scheint im Rang vor dem Achten auf demokratische Balancen zu stehen. Zumindest für die Meisten. Die Wahrung von Gesundheit ist zuerst Sache des Einzelnen, der Staat als Beauftragter des Volkes kann versuchen, daß optimale Bedingungen für eine Krankensorge entstehen. Die Angst vor dem Verlust des Wohlstandes, der auch ein Gesundheitsstand ist, wird Angst vor Verlust der Gesundheit, wird Angst vor dem Tod. Die Demokratie ist bis jetzt ohne panischen Seuchenschutz ausgekommen.
Seuchenschutz als Bollwerk gegen Verlustangst.
Demokratie und freies Unternehmertum führen zu Wohlstand; die Angst vor dem Verlust, schaffen Demokratie und freies Engagement ab. Das neue System, das entsteht, ist auf den permanenten Seuchenschutz angewiesen: Es weiß ja nicht, was seine Existenz bedroht.

Anti-Körper

Der Krieg gegen ein Virus, gegen Alle, die sich nicht in die Einheitsfront gegen das Virus einreihen, ist ein Stellvertreterkrieg. Jeder ideologische Extremismus findet in ihm seine Kampfeinheit.
Fast könnte man sagen, daß der Krieg Aller gegen Alle und der große Wunsch nach Friede, Freude, Eierkuchen für alle Menschen in eine aberwitzige, gespenstische Zusammen-Bewegung geraten sind. Der Freie nimmt kein Blatt vor den Mund und steht stummen Masken gegenüber. Wissenschaft als amtliche Exegese. Die persönliche Urteilskraft zerfressen von einer an sich selbst zweifelnden Gesellschaft, deren Individuen nicht mehr unteilbar sind.
Eine solche Gesellschaft muß sich durch alles angegriffen fühlen, was verunsichert. Auch durch ein Virus, dessen Gemeinheit in seiner Harmlosigkeit zu stecken scheint. Die Anwendung der stalinistischen Methode von Kritik und Selbstkritik läßt aufhorchen.
Allerdings wächst das Rettende auch, zumal der Widerstand gerade im medizinischen Kompetenzbereich groß ist und sich nur eindämmen ließe unter stalinistischen Bedingungen, mit einer Drohkulisse von Lager und Erschießungskommando. Immunität einer Gesellschaft gegen das Totalitäre, geht die Immunität des Einzelnen voraus. Die persönliche Urteilskraft als Anti-Körper.