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Die Metamorphosen im Schauen auf die Welt. Verschiedene Stimmen eines Autors in seinen Figuren, in einer Figur verschieden. Mißverstanden in etwa: Das hätte er gut beschrieben. Nein. Der Autor hat sich die Sicht seiner Figur zur eignen gemacht, um sie erzählen zu können; die Figur ist auch Autor.

Die Widersprüchlichkeit in einer Figur. Die Ambiguität ihrer Existenz, die gleichzeitige Sicht derselben auf sich. Kafkas Gehweise, sein Stil ermöglicht die Spannung und hält sie aus und er bleibt eins.

Hoffmann erzählt in den Serapionsbrüdern eine Anekdote. Zwei Schüler Kants disputieren eine These desselben, die Umstände trennen sie über Jahre und als sie sich wieder treffen, disputieren sie an eben der Stelle weiter, wo sie einst aufgehört hatten. Für Hoffmann ist das gespenstisch.
In einer Variante hätten die beiden nach Jahren die Position vertauscht. Eine Diktatur etwa zwang den einen zur Flucht und den anderen zu Anpassung. Ein weiteres Treffen sehe beide in ihren alten Positionen wieder, beide halten verblüfft kurz inne, fahren aber dann fort.

Feigheit vor dem Denken, die Widersprüche einer Sache nicht auszuhalten. Sie in ihre Pole zu trennen, diese in Angebote zu verwandeln und sich am Schalter zu diesen in die Warteschlange einzureihen (Äh, wer war hier der Letzte?).

Die Verschmelzung des Eigenen zu einem Goldenen Kalb, dem Idol aller, die folgen wollen.

in Zorn und Zeit

spricht Sloterdijk von akkumuliertem Zorn, der sich in Zornesbanken sammele, um unter Umständen als Dividende, Ersparnis in Form von Würde ausgezahlt zu werden. Eine Partei wäre solch eine Zornesbank, die, an der Macht, Auszahlungen in Form von Sozialpolitik oder Steuerkürzungen vornimmt. Käme sie nicht an die Macht, hielte sie immer noch ein Anlageversprechen.
Sloterdijk führt in einem Interview aus, das mit dem akkumuliertem Kapital analog dem finanziellen auch Transaktionen vorgenommen werden können. Die Situation, daß Zentralbanken Geld an Banken ohne Zinsen abgeben, dieses aus dem Nichts generieren scheint mir analog zu den Zornesbanken. Ihre Aufreger, ihre Versuche, immer neuen Zorn aus virtuellem Zorn zu generieren, wirken ähnlich und haben ähnliche Folgen wie in der Finanzwirtschaft. Das Vertrauen in einen soliden Sockel aus (Zornes-)Kapital schwindet, Menschen wenden sich ab, investieren in greifbare Werte, wie Häuser, schweizer Uhren oder alte Weine; anders herum in Dinge, die Echtheit oder Wahrheit nicht nur versprechen, sondern auch halten.

der pragmatische (Ost)deutsche

ist einer, der sich über die Jahre an die freie und offene Gesellschaft gewöhnt hat.
89 eher abwartend, wenn aktiv, dann auf gepackten Koffern oder längst im Westen. Durchaus gelegentlich opportunistisch nach außen, aber eher so, daß er die Umwelt mit seinem Meinen verschont. Sein persönliches Tun, seine Familie sind ihm wichtig, er ist beschäftigt, durchaus selbständig. Es hat sich in den Jahren ergeben, daß die Demokratie die beste politische Form für ihn ist. Sie verlangt von ihm nichts, sie läßt ihn in Ruhe sich um Arbeit und Familie kümmern.
Greift ein Aktivismus in diese Kreise ein oder gar an, wird von ihm gefordert, sich zu bekennen oder erscheint es ihm, daß ein Grundkonsens, der ihm eine eigene, freie und ungestörte Existenz garantiert, verloren geht, tritt er hervor aus dem Schatten des Privaten.
Man sollte ihn nicht unterschätzen, nur weil er politisch bisher nicht vertreten war, im Sinne eines Aktivismus oder politischen Bekenntnisses. Als Wähler hat er sich bisher nicht hervorgetan, er wählt alle Parteien. Ein Politiker, der einen dynamischen Pragmatismus glaubwürdig vertritt, könnte ihn jedoch interessieren.

Opportunismus

ist, nach den Gelegenheiten zu handeln. Anthropologisch betrachtet mußte Mensch jede Gelegenheit zum Überleben nutzen. Früchte zu essen, wenn sie wachsen, Schweine zu schlachten, wenn keine Früchte mehr da sind. Nein nicht jede. Die Kollektive suchen sich zu den gebotenen Dingen ihre Regeln, Tabus. Erkenntnis schafft Bögen, in denen man denken kann, vorausschauend handeln kann.
Gelegenheitskäufe: Opportunismus der Konsumtion, Opportunismus des Möglichen. Das alles verfügbar scheint, läßt die Bögen vergessen. Ein Opportunismus aus Vergeßlichkeit.

Mein Jahreslauf

Das Jahr beginnt für mich mit Weihnachten. Die Zeit davor ist eine der sich selbst zu-Grunde-bringenden Existenz, eine der Illusion, was man in den nächsten drei Wochen noch alles schaffen könne. Der Heiligabend ist eine Erlösung aus diesem Sein, ein Nichts folgt, in dem sich Dinge neu ordnen. Die Zeit des Wandels beginnt, die bis Pfingsten anhält. Ein Ausstieg aus dem Keller des Seins auf den Hof, vor das Haus, auf die Straße ins Licht des Wandelns Steh auf und wandle!, der Wandlung, des eigenen Handelns. Es springt immer noch Neues für mich hervor.
Der Sommer ist die Zeit des selbstvergessenen Seins, es scheint selbstverständlich, daß ich zu allem in der Lage sei.
November zerstört diese Illusion spätestens und weckt die Frage nach dem Tod auf. Dies wiederum löst hektisches Handeln bis Weihnachten aus.

Neue Privilegien

Wenn Hunger fehlt, fehlt etwas. Das Fehlende kann durch Simulation ersetzt werden. Asketische Übungen Privilegierter seither.
Eine anderes Privileg ist die Möglichkeit, sich in eine gewünschte Rolle zu simulieren, als wäre sie echt. Etwa die der Führerin einer Sekte, die das Wetter mit Hilfe kollektiver Interaktionen beinflussen will.
Das Privileg reicher Kinder bestand früher darin, ohne Sorge und Mühe alles erreichen zu können. Hinzu kommt nun das der wünschbaren Rollen. Eigentlich kann das jeder, es ist also kein Privileg. Aber an der Spitze seiner Simulation zu stehen, die gleichzeitig die eines größeren Kollektivs ist, daß leistungslosem Ruhm huldigt und damit auch sich selbst. Das geht nicht ohne hintergründige Anschubfinanzierung, also ohne Privilegien.

Erweiterte Akkumulation

Mit dem Eingekauften das Haus erreichen und die Eßwaren im Kühlschrank verstauen: als ob für ein paar Tage nun alles gesichert sei

Peter Handke: Das Gewicht der Welt

…gilt ebenso für den Müllsack, den ich nach unten bringe, nachdem ich das Regal aufgeräumt und aussortiert habe

Wahrheit, Existenz und Erkenntnis

Wahrheit ist durch Existenz beschwerte Erkenntnis.
Erkenntnis ist die permanente Revision der Erkenntnis.
Nur durch das Gewicht der Existenz wird Erkenntnis wahr.
Erkenntnis anderer wird erst durch meine Beschwernis für mich wahr.
Es gibt keine Wahrheit ohne Existenz.
Es gibt auch keine Erkenntnis ohne Existenz.
Gott ist die Wahrheit der Existenz als Schönheit.
Gott als Zwang, Wahrheit als Doktrin sind eine Existenz ohne Erkenntnis.
Es kann eine Erkenntnis gegen die Existenz keine Wahrheit werden.

linke Tugenden

Die Frage, ob es linke Tugenden gibt. Schaut man sie sich an, so steckt hinter jeder ein archaische, kollektivistische Tugend. Solidarität ist Stammeszusammenhalt, Gerechtigkeit ist Neid, Kampfesmut ist Wut der Masse. Es gibt offensichtlich keine. Es gibt aber und das immer mehr eine Eigenschaft. Die Feigheit. Die Feigheit, in der Masse zu sein. Nur dann zu agieren, wenn ich in der Masse bin. Es gab eine Zeit, da Linke lange theoretische Bleiwüsten fabrizierten. Von Marx zum Neuen Deutschland, von Adorno zur frühen Taz. Hier gab es Auseinandersetzung, auch die, die ihre Kraft aus dem Individuellen nahm. Die heutige Linke ist völlig kollektiviert hinter der Mauer der Sprachregelung. Die Feigheit ist der gemeinsame Nenner. Ein Ich, das sich nicht traut, selbst um sich zu sorgen, ist schon eine Prädestination für das Linkssein, nämlich nichts anderes, als der kollektivierte Neid auf Alles, was einen eigenen Gang, eine eigene Stimme, ein Denken und Handeln hat oder um es mit Kafka zu sagen, einem wirklichen Kopf, also auch einer Stirn, um mit der Hand an sie zu schlagen.

Im Brunnen der deutschen Seele liegt…

…der Schlüssel des Schlosses, mit dem der Einzelne an den Nationalsozialismus gekettet war und ist. Das, was Befreiung genannt wird, ist nur die Zerschlagung der Kette, nicht mehr. Der Umgang mit dem Schlüssel ist eine persönliche Tat.

Die Ambiguität, auszuhalten, zu einem Volk der Täter zu gehören, die Tat abzulehnen, ohne zu bestreiten, sie zumindest getan haben zu können, ist einfacher, als die Bekämpfung des Erb-Teils Täter in sich. Dieser arbeitet nämlich in seinem End-Kampf-Bunker umso heftiger, umso heftiger er bekämpft wird. Der unsterbbare Führer im Herzen. Er ist die Quelle des sich perpetuierenden Antifaschismus. Der Kampf um die Isolation des Innen-Bunkers verbraucht die Energie, die dem Bewußtsein fehlt, die Ambiguität oben zu erfahren. Der innere Bunker wird äußerer Feind innerhalb des ideologischen Elaborats, welches das spärliche Bewußtsein gerade noch so zu produzieren in der Lage ist.
Vielleicht sind die Aktiv(i)sten die, deren familiäre Tradition in die Gruppe der NS-Führer zurück weist. Exerzitien der Ablehnung von Tugenden wie Können, Wissen, Intelligenz, streitbarer Mut, Wahrhaftigkeit wurde ein System der Ablehnung, des Negativismus entwickelt, als Waffe, den inneren Bunker zu zerstören.
Nämlich, daß es Volk, Heimat, Mann, Frau, Kind, Leben nicht mehr gebe, bzw. nur in der Vorstellung. Als könne man mit dieser auch die innere Panzer-Festung weg-denken, weg-wünschen, abschaffen.
Möglicherweise hat der Eine oder Andere der unmittelbar Beteiligten seinen inneren Burgfrieden gemacht. Der Grad des persönlichen Engagements im Nationalsozialismus wird dabei eine Rolle gespielt haben. Eine Proportion zwischen Schuld und Zerknirschung besteht nicht, die Mit-Schuldigen, die ein Gewissen haben sind es, die ihr Haupt hinterher am meisten mit Asche bestreuen.
Kollektivschuld zu haben ist so absurd, wie Verantwortung im Team. Sich Antwort zu geben ist individuell. Es gibt die persönliche Verantwortung Vieler. Nach meiner jetzigen Erfahrung gehört sie zum Erbteil, einem, welches man nicht ausschlagen kann. Tradition hat viele Linien, auch unterirdische.
Möglicherweise ist durch die Bewältigung des Nationalsozialismus eine Lücke weitergegeben worden. Die Lücke, wo der innere Bunker steht.
Kann es sein, daß diese umso virulenter ist, je unbefangener die unbeteiligten Nach-Fahren sie weitergeben?
Der Weg über die zweite Diktatur, die die Mehrheit der Deutschen für unschuldig erklärt hat. Kommt mit der Überwindung der verordneten Un-Schuld die Schuld zurück?
Der Sturz der SED entfernte den verordneten (inner wie äußer) Panzer. Hervor kam das Ressentiment gegen das Andere und die Immunität durch die Erfahrung der Angst.
Die geistige Auseinandersetzung jetzt: der Ganze Mensch gegen den Reeducateten. Flankiert von den Ressentiments.