Ich zappe immer wieder weg. Menschenmassen zu beobachten, wie aus der Totale in das Einzelne gezoomt wird, das hier den Status des Besonderen bekommen soll, den es aber nicht hat, langweilt.
Einer der Veranstalter stellt das Utopische über das finanzielle Desaster des Festivals und begründet den Pop-Mythos, der es nach 15 Jahren Schuldentilgung in die Gewinnzone schiebt.
Innerhalb der Stunde Zuschauens wachsen in der vergangenen Festivalzeit die Müllberge. Der Regen läßt sich auch durch Regentanz nicht vom Fallen abhalten.
Ich steige bei Richie Havens ein und bei John B. Sebastian aus.
Joan Baez singt Joe Hill, ich glaube kein Wort. Sie hat in ihrem ganzen bisherigen Leben weder ein Bergwerk, noch eine Fabrik von innen gesehen. Wahrscheinlich trifft es auch auf die Autoren des Songs zu. Sie schaut verlogen bis ins Mark. Aber sie bedient ein Etwas, dem Protest einen proletarischen Background zu geben.
Das sind allesamt nette Kinder. Man telefoniert nach Hause, Mama zu sagen, daß man noch lebe und es nicht so schlimm wäre, wie in den Nachrichten. Die Minderheiten, für deren Freiheit man ja auch dort sitzen würde, sind die Ausnahme, sie werden von der Kamera fixiert. Das Publikum ist weiß und keine Arbeiterklasse.
Für wen singt und schreit Richie Havens nach Freiheit? Daß er sich dort mutterseelenallein findet: für sich selbst?
Die meisten meiner Punkte für die Musik gehen nach Great Britain. The Who, Alvin Lee und Joe Cocker. Thats Rock’n Roll! Alvin Lee erzeugt eine Grundspannung kurz unterhalb der Extase: in Riffs! Dann springt er geschwind, gezupft, gekonnt immer wieder knapp über diese Linie.
Das ist für The Who Teil der Show als zornige junge Männer. Kein weiterer Kommentar, wer das so kann, dem glaubt man das, der glaubt das selbst und kann es auch deswegen.
Die rudernden Arme des Klempners aus Sheffield, der gewiß etwas Hilfe seiner Freunde braucht. Nur gerade da nicht, wo es um die Kunst geht, jeder Einsatz sitzt, jeder Ton wird getroffen, um nur annähernd festzustellen, was diesen Auftritt so besonders macht.
Die blauen Augen von Grace Slick, ihre Stimme erzeugt mit der E-Gitarre einen besonderen Sound. Leider hält er nicht, was er verspricht, die musikalischen Ideen von Jefferson Airplane verläppern sich. Sie spiegeln ihr Publikum, auch äußerlich. Grace Slick steht am Bühenrand und beißt sich vor Eifersucht auf die Lippen, während sich ihr männlicher Kollege produziert.
Bei John B. Sebastian schalte ich aus, soviel Banalität ist kaum zu ertragen, sein wichtigster Beitrag ist die Bitte, etwas Müll mit nach Hause zu nehmen.
Don Quichote
Zuerst wähnen wir, Don Quichote würde die Illusion über die Wirklichkeit stellen und wir als Beobachter (an Sanchos Seite) wüßten Bescheid.
Aber löst er nicht den Widerspruch zwischen Denken und Handeln, indem er mit Ernst und Würde in seine Rüstung steigt? Ist es nicht sogar ein Privileg, dies konsequent und immer tun zu dürfen und verbindet ihn das nicht mit allen Arbeitern, für die Pause, Freizeit und fertig machen nicht zu existieren scheinen?
Don Quichote genießt die Anerkennung durch die Welt, indem er den Spott nicht hört. Die Spötter müssen sich fragen, was Illusion ist, ihr Spott oder der Wahn Quichotes. Sie kehren dahin zurück, wo sie täglich gegen ihre Vorsätze verstoßen, die möglicherweise in ihrer Unerfüllbarkeit selbst Illusion sind. Oder die Befriedigung über ihre Erfüllung. Den Ritter ficht das nicht an. Er reitet in den nächsten Konflikt, den er (er)findet. In den er eingreift und mit dem er eigentlich nicht zusammenkommt. Nach jedem Konflikt hat sich die Situation geändert, die Intervention jedoch niemals das Gewollte erreicht. Die Determination geht eigene Wege oder existiert möglicherweise garnicht.
Don Quichote stellt die Frage nach dem Schicksal, die uns bis heute dahingehend beruhigt, daß wir ja nicht anders handeln konnten. Der Don schon.
Jogginghosen ohne Jogging
Jogginghosen sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Straße.
sagt Karl Lagerfeld.
Das sozialdemokratische Linkssein und das des Kopfes. Das sozialdemokratische stellt die Frage, wieviel Zeit ich für ein Auskommen aufwende. Das des Kopfes möchte bestenfalls, daß die Welt so ist, daß die Frage nach dem Auskommen nicht gestellt werden muß. Schlimmstenfalls geht es darum, daß die Welt so sein soll, wie sich der Kopf das vorstellt. Vordergründig geht es um ein Für, daß sich gegen die richtet, die gegen das Für sind. Gibt es zu wenig Sympathisanten für Für, wird Für Gegen.
Für und Gegen brauchen eine Theorie: Die Welt ist nicht, was der Fall ist, sondern was der Fall sein soll. Ein Determinismus, dessen mythischer Bruder der Schicksalsglaube ist. Man projeziert den Wunsch in die Vergangenheit und hat den historischen Materialismus. Man schiebt ihn über die Zeitleiste (auch so ein Schicksalsglaube) in die Zukunft. Der Zufall spielt keine Rolle, er ist das Leben, der Feind.
Die stattgefunde Geschichte, die sich, wie auch die Gegenwart, heute mehr zufällig, als gesetzmäßig zeigt, ist auch Feind und erweist sich heute als unbrauchbar. Das Klappen der Vergangenheit als Blaupause in die Zukunft scheitert am gewesenen Sozialismus. Der Loop wird heute aus der unmittelbaren Vergangenheit geschwungen; Sowjetmacht plus Elektrifizierung = Kommunismus heißt heute anders. Das Zukunftsversprechen hängt am Dosenpfand. Soviele Ideen wie Köpfe, ist der Zustand heutiger linker Theorie. Kaderparteien des 20. Jh. kontrollierten das mit der Methodik der Isolation: Parteistrafe, Ausschluß, Gulag, Exekution. Daß Freiheit an Verantwortung gebunden, diese nur individuell wahrgenommen werden kann, nur dann der Fall ist und das Ergebnis einer Arbeit, ist Menschen, die sich in deterministischen Zwängen zu befinden glauben und nach dem Dreh suchen, der das für sie von woanders her ändert, fremd.
Von Lenin zu heute hat sich die Weltformel personalisiert. Die Folge ist eine allgemeine Verunsicherung. Wenn Tausend Kehlen tausend Probleme hyperventilieren, werden die, die bisher die Allgemeinheit mit ihren Problemen verschonten, hineingezogen.
Das Zittern der Kanzlerin
Ich habe keinen Grund mehr. Ich sehe was der Grund ist. Ein Netz aus Vasallen. Sie halten es noch, aber ich spüre ihre Schwäche. Ich habe keine Starken unter ihnen. Ich hätte dafür sorgen sollen. Aber ich habe die Starken nie geduldet neben mir, nur als Gedemütigte.
Meine Stärke: Dazusein, wenn alle ihr Pulver verschossen haben. Anzufangen, wenn die anderen müde sind: meine Ausdauer. Meine Kraft wächst aus der Schwäche der anderen. Vielleicht weiß ich schon lange, daß ich stürzen werde. Ich siegte, als die Starken mir ihre Schwäche als meine Kraft gaben. Jeder kluge Herrscher sollte Starke an seiner Seite haben, wenigstens einen. Wen aber hätte ich dulden können. Jeder Starke möchte von andern Starken etwas gegeben bekommen, daß er anders zurückgibt. Ich habe nichts. Ich hatte nie etwas.
Ich habe die Menge gesucht. Die Kraft der Menge hat mich getragen. Wenn die Menge ihren Irrtum bemerkt, zerstreut sie sich. Teile bilden neue Allianzen um neue Irrtümer. Sie sucht sich andere Helden, in denen sie Ihresgleichen sucht.
Ich war die Beste in meiner Kategorie! Die Menge möchte den Propheten, den sie fallenlassen kann, wie den Müll, den sie nicht mehr braucht. Ein Ihresgleichen unter der Gleiche der Banalität.
Ich habe versucht, der Banalität einen Sinn zu geben, ein ZEN dessen, worin weder Sinn noch Zen ist. Meine Popularität: Die Gemeinschaft des Zen der Banalität.
Meine Schwäche ist kein Zentrum mehr für die Menge. Ich halte mich noch mit den Armen fest. Aber mein schwerer Körper hängt über dem schwindenden Grund.
Ich zittere.
Vom Verfall
Wird der rechte Weg verlassen
entstehen Güte und Moral
Wissen und Klugheit kommen auf
und große Heuchelei folgt
Zerbricht die Eintracht der Familie
entsteht Kindespflicht und Elternliebe
Wenn das Land in Wirren und Chaos gerät
treten ergebene Staatsdiener auf
Lao Tse: Tao Te King
Neufassung und Nachdichtung von Bodo Kirchner
Was ist Faschismus?
Einer: Wie kann man nur so denken?
Einige: Das geht gar nicht.
Eine Menge: Reiht euch ein!
Eine Menge wie ein Bündel Ruten, aus dem ein Beil ragt:
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Es hätte schlimmer kommen können
In meinen dunklen Momenten glaubte ich, daß der Tag kommen würde, an dem dem Bürger vom spitzen Kopf der Hut fliegt. Eine Kugel flog durch die Zeit von Sarajevo nach Sarajevo. Der Erzherzog liegt in seinem Blut neben den Leichnamen derer, die aus Not nach Wasser gehen mußten. Afghanistan ist kein Ort, unseren Mut zu beweisen. In Srebrenica standen wir schon bevor es passierte und ließen es geschehen.
Ich hatte der Verweigerung den Dienst quittiert, meinen Acker zu bestellen. Die Felder ringsum sind leer und verkrautet, gelegentlich fährt ein Traktor vorbei. ein Mann steigt aus und beschimpft das trockene Unkraut vom letzten Jahr. Es hätte schlimmer kommen können. Ein Panzer mit einem schwarzen Kreuz oder einem roten Stern fährt über das Feld. Seine Rauchfahne ist schwarz. Das Feld ist bestellt, die Bauern auf der Flucht.
Dahinten kniet noch einer in seiner Furche. Ist das eitel? Es hätte schlimmer kommen können. Ein Griff an den Kopf, ein Schlag auf die Stirn: fürchte ich mich, zu erfahren warum die Felder rings brach liegen?
Es hätte schlimmer kommen können. Da wo dein Feld an die Straße grenzt, steht ein Wagen. Eine Frau und ein Mann stehen davor und rauchen. Was du befürchtest: sie lachen dich aus.
Das Haus,
wir vernachlässigten das Haus. Nicht ungepflegt, es sah so aus, daß wir zufrieden waren; wie es aussehen sollte, auch für die Nachbarn. Nachlässig betraten wir es und nachlässig schauten wir aus dem Fenster. Wir hatten vergessen, wie es ist, kein Haus zu haben.
Es brannte ab und wir fielen auf die Knie. Wissen wir nun, daß uns weniger gehört, als Knie und Fußspitzen bedecken?
der pariser Feuerwehr gewidmet
Der Koffer
hat viele Taschen, in denen von jeder Reise etwas zurückbleibt, eine Socke, eine Rechnung, Krümel, die mit auf die nächste Reise gehen. Er ist groß und ist er voll, so schwer, daß er fast nicht getragen werden kann, sondern gerollt werden muß. Er hat dazu zwei Räder und einen herausziehbaren Griff. Ihn zu schließen, ist mühsam, vor jeder Fahrt scheint er voller zu werden, als nähme er von überallher etwas mit.
Auf schmalen Pfaden
Ich habe keine genaue Vorstellung, wie Bashos Wanderung durch das Hinterland eigentlich aussah. Der Weg seine Kartierung sind mir rätselhaft. Ich sehe die Erzählung des Wegs nicht. Aber im Augenblick des Lesens sehe ich mit seinen Augen, alles ist jetzt: die Kiefern, die Blüten, der Abend zu Gast. Im Erzählen spannt Basho den Bogen nach China (wo er nie war, so wie ich nie in Japan war), zu dem Gedicht eines Freundes, daß er auswendig weiß oder bei sich trägt. Es ist die Gleichzeitigkeit aller gespannten Sinne, in das Jetzteben, in die Vergangenheit, in die Zukunft, die der Leser eines Autors ist, der vor Vierhundert Jahren lebte. Durchaus eine Seinsform von Gott, die die Vorstellung von Gott nicht braucht.